Mittwoch, 14. Dezember 2016

Kopfangelegenheiten

Leider komme ich im Job nur noch selten dazu, selbst zu schreiben - zumindest längere Texte. Und "nur noch selten" bedeutet "seit einer Ewigkeit nicht". Aber 2016 hatte ich zumindest dreimal die Möglichkeit, über meine wöchentliche Anzeigenblatt-Kolumne zum Thema Online-Lokaljournalismus und die eine oder andere "Tatort"-Rezension hinaus jeweils einen Artikel zu verfassen, auf den ich ein bisschen stolz bin.

Freitag, 11. November 2016

Mein Dogma (V)

Was ich mache, um die Welt zu verbessern? Na, was man halt so macht. Ich trenne akribisch den Müll. Ich benutze Recycling-Papier, wenn ich überhaupt Papier benutze (also quasi nur im Bad). Ich wettere lautstark, wenn jemand in meiner Nähe sich rassistisch, antisemitisch oder homophob äußert. Ich twittere und facebooke unheimlich kreativ, wenn gerade mal was Schlimmes passiert ist. Ich war lange aktives Mitglied des Nabu und Fördermitglied von Greenpeace. Ich werfe Obdachlosen ab und zu ein bisschen Hartgeld in den Hut. Ach ja: Und ich erzähle gern von früher, als ich noch bei Demos mitgelaufen bin, gegen Fremdenfeindlichkeit oder einen der Golfkriege. Damals, in Bonn, bei der Großkundgebung mit Klaus Lage... "Bonn?", fragen da die Jüngeren. "Klaus Lage?" Naja, das ist halt schon ein bisschen her. 25 Jahre oder so.

Aber vor ein paar Tagen ist etwas passiert, das mich... nein, nicht wachgerüttelt hat. Das wäre eine Phrase, zu leer und blass und daher unangemessen. Erschreckt hat es mich, ganz einfach. So sehr, dass ich fast einen ganzen Tag lang brauchte, um es zu begreifen. Nach Russland und der Türkei, nach Polen und dem Osten unserer Republik haben auch in den Vereinigten Staaten die Wahlberechtigten mehrheitlich entschieden, einem Demagogen und Populisten zu vertrauen.

Ich weiß schon, dass sie diesmal die Wahl hatten zwischen zwei Übeln. Und ich weiß auch, dass Begriffe wie "konservativ" oder "liberal" immer relativ sind. Vereinfacht ausgedrückt: Die zu Unrecht von manchen als Lichtgestalt bejubelte Hillary würde hierzulande zum rechten Flügel der CDU gehören. Aber Trump hat mit Erfolg den durchgeknallten, frauenfeindlichen Rassisten gegeben, der er wahrscheinlich sogar ist, und damit die Amerikaner überzeugt. Es funktioniert noch immer und offenbar überall auf der Welt: Lüge das Blaue vom Himmel runter, such dir Sündenböcke, hau auf die Kacke - und man jubelt dir zu.

Das Blaue aus der Hölle wird im kommenden Jahr in den Bundestag einziehen. Auch wir sind ein Teil der Welt, die sich nicht plötzlich und unerwartet, aber doch ruckartig rechtsherum dreht. Und damit kehre ich zurück zu mir und dem, was ich für besagte Welt tue: nicht viel. Oder zumindest nicht genug.

Es ist dem restlichen Planeten nämlich herzlich scheißegal, dass ich an der PC-Tastatur oder mit dem iPhone in der Hand mal sowas von sauer bin und meine Follower oder Facebook-Freunde daran teilhaben lasse. Zwei Tage habe ich gebraucht, um mir zu überlegen, was ich also anders machen kann. Vielleicht sogar besser. Und dann fiel es mir ein.

Noch ein kurzer Exkurs: Ich stamme aus einem sozialdemokratischen Haushalt. Mein Vater war in der SPD, solange ich zurückdenken kann. In seinem letzten Lebensjahrzehnt hat er damit durchaus gehadert, hat in der örtlichen Parteizentrale lautstark gefordert, seine Genossen sollten sich gefälligst auf ihre alten Werte besinnen. Ich selbst habe immer von meinem aktiven Wahlrecht Gebrauch gemacht, sobald ich die Möglichkeit dazu hatte. Ein Parteibuch kam mir nicht ins Haus - und das aus zwei Gründen: Zum einen wird es in meinem Berufsstand gar nicht gern gesehen, wenn sich jemand politisch allzu eindeutig positioniert. Man macht sich angreifbar. Zum anderen gibt es ganz einfach keine Partei, der ich zu einhundert Prozent vertraue. Auch das hat mit meinem Job zu tun: Als (Lokal-)Journalist bekommt man einen ganz guten Einblick in die Arbeit von (Lokal-)Politikern. Man kennt die Spielregeln und ist im Idealfall derjenige, der abpfeift, falls jemand dagegen verstößt.

Ganz grundsätzlich geht es mir wie Johnny Haeusler, der in seinem sehr lesenswerten Text zum Thema schreibt: "Ich hasse Kompromisse, stundenlange Debatten, langweilige Meetings. Außerdem wird keine der bestehenden Parteien meine Haltung zum Leben auch nur achtzigprozentig widerspiegeln. Jede Partei hat mal Scheiß gebaut, in jeder Partei sind Leute, mit denen ich gar nicht so gerne am Tisch sitzen möchte."

Trotzdem: In ein paar Tagen bin ich Sozialdemokrat. Ich werde mich für die Belange meines Wohnorts und meiner Gemeinde einsetzen. Kleine Schritte gehen. Viel reden, mal laut, mal leise, mal sachlich, mal aufgeregt, wie man es von mir gewohnt ist. Damit werde ich ganz sicher nicht den irren Donald vom Thron fegen, eventuell verhindere ich nicht mal, dass die blau lackierte Scheiße drittstärkste Kraft im Bundestag wird. Aber ich trage meinen Anteil dazu bei, die Welt zu verbessern, so pathetisch und naiv das auch klingen mag. Und ich habe wieder Hoffnung. Die Hoffnung nämlich, dass andere nachziehen. Damit die Mehrheit zeigt, dass sie die Mehrheit ist. Nicht schweigend, sondern aktiv. Damit nicht mehr die Lauten gewinnen, sondern die Guten.

Freitag, 14. Oktober 2016

Herzensangelegenheiten

Am Anfang war der Tod. Am 16. März 1990 wurde Andrew Wood, Sänger und charismatisches Aushängeschild der aufstrebenden Band Mother Love Bone, leblos aufgefunden. Seine Heroinabhängigkeit hatte den 24-Jährigen das Leben gekostet.

Zuvor war seine Formation - bestehend aus ehemaligen Mitgliedern von Malfunkshun und Green River - als "das nächste große Ding" gehandelt worden. Ihre ungewöhnliche Hingabe zum Glamrock der 70er machte sie zu einem so hörenswerten wie originellen Act und platzierte ihre Heimatstadt Seattle auf der unübersichtlichen Karte der Rockmusik. Das plötzliche, vielleicht nicht ganz unerwartete Ableben ihres Frontmanns beendete die Laufbahn der Band jedoch, ehe sie richtig beginnen konnte. Und schuf gleichzeitig eine lokale Legende.

Chris Cornell, Sänger von Soundgarden (die ihrerseits ebenfalls in den Startlöchern für eine größere Karriere standen), verarbeitete den Verlust mit zwei Songs, die er seinem verstorbenen Freund widmete. Das melancholische "Say Hello 2 Heaven" und das an Neil Young erinnernde "Reach Down" wollten jedoch nicht recht zum Material seiner eigenen Band passen, die schon damals eher auf den Spuren von Led Zeppelin und Black Sabbath unterwegs war. Mit seinem Drummer Matt Cameron, den beiden Mother-Love-Bone-Musikern Jeff Ament und Stone Gossard sowie dem Gitarristen Mike McCready rief er daher das Projekt Temple Of The Dog ins Leben. Man traf sich zu ausgiebigen Jam-Sessions, die schließlich in Aufnahmen eines gemeinsamen Albums gipfelten.

Zu den neuen Stücken gehörte die Ballade "Hunger Strike", mit deren Refrain Cornell haderte. Daher baten die Musiker einen jungen Surfer und passionierten Sänger ins Studio, der parallel dazu mit dem ersten Album einer neuen Band um Ament, McCready und Gossard beschäftigt war: Eddie Vedder. Während also die erste und einzige Veröffentlichung von Temple Of The Dog langsam Gestalt annahm, entstand zeitgleich das Debüt von Pearl Jam - beide Werke etablierten Seattle endgültig als das neue Mekka für Freunde knackiger Gitarren in klassischem Stil.

Die großen Plattenfirmen schickten natürlich eilig ihre schwarzen Reiter in den amerikanischen Norden, um dort alles unter Vertrag zu nehmen, was ein Karohemd trug und/oder eine Gitarre vor dem Bauch hängen hatte. Das Label Sub Pop galt Kennern bald als nun nicht mehr so geheimer Tipp auf der Suche nach interessanten Bands. An deren Spitze machte ein Trio aus Aberdeen (Washington) von sich reden, das von einem blassen, blonden Jungen mit Bartstoppeln und traurigem Blick angeführt wurde. Kurt Cobain - so der Name des leidenschaftlichen Punk-Fans - wollte alles, aber ganz gewiss kein Rockstar werden. Der weltweite Erfolg seiner Band Nirvana machte aber aus ihm genau das. Schwere Zeiten für einen depressiven Einzelgänger mit Magenproblemen. Und während der restliche Planet zu "Smells Like Teen Spirit" tanzte, suchte er nach einem Ausweg aus dem unverhofften Ruhm.

Unterdessen spülte die Grunge-Welle (so nannte die Musikindustrie das neue Genre, das eigentlich keins war) weitere hörenswerte Bands in vordere Hitparaden-Regionen. Soundgarden, Alice In Chains und die Screaming Trees bekamen verdientermaßen ihren Teil vom Kuchen ab. Andere wie der schwergewichtige Tad oder die unberechenbaren Melvins blieben zu schräg für den Mainstream. Ähnliches galt für die Szene-Veteranen Mudhoney um Green-River-Mann Mark Arm, die nicht bereit waren, ihren lärmigen Garagenrock dem Massengeschmack anzupassen.

Das taten andere: Eine zweite Welle rollte an, diesmal nicht zwingend aus Seattle oder nahegelegenen Städten, sondern aus Großbritannien (Bush), Australien (Silverchair) oder zumindest aus Kalifornien (Stone Temple Pilots). Inzwischen erinnerten allenfalls Attitüde und Optik noch daran, was den Grunge ausgemacht hatte. Die Musik war meist melodischer College-Rock, von der Experimentierfreude, die zwischen dem klassischen Stadionrock von Pearl Jam und dem Punk-Pop von Nirvana alles möglich gemacht hatte, war nicht mehr viel übrig.

Heute spricht man in diesem Zusammenhang gern von der letzten großen Revolution in der Rockmusik, und da ist ja auch was dran. Der Erfolg der genannten Bands hat einiges verändert, hat möglich gemacht, dass auch ungewöhnliche und ungewohnte Klänge durchaus Gehör finden. Bunt waren sie, die 90er, und laut, und wir hatten unseren Spaß mit der Tristesse und den tief hängenden sechs Saiten.

Einem wurde das alles schnell zuviel. Cobain haderte mit seiner Popularität, flüchtete sich in bewusst unkommerziell produzierte Songs, in eine kaputte Ehe und immer wieder in Halluzinogene. Am 5. April 1994 nahm der 27-Jährige sich mit einer Überdosis und einem Schuss in den Kopf das Leben. Nur vier Jahre lang hatte der Grunge die Welt ein bisschen lauter gemacht und der Generation X ihren passenden Soundtrack verpasst. Am Ende war der Tod.


Herzensangelegenheiten

Es gibt kaum eine uncoolere Band als Toto. Und da ich alle ihre Alben besitze, macht sie das zu meiner uncoolsten Lieblingsband.

Es war Ende der 80er, ich war jung und hätte es trotzdem eigentlich besser wissen müssen. Schlimmer noch: Ich wusste es besser. Obwohl ich längst dem stampfenden Indie-Rock von New Model Army huldigte und den launigen Drei-Akkorde-Punk der Ramones verehrte, nahm ich mit ähnlicher Begeisterung Anteil am Wirken einer Band, die ein keyboard- und klischee-affiner Mitschüler mir empfahl. Ich bin ehrlich: Er rannte allenfalls angelehnte Türen ein. Bereits in noch jüngeren Jahren hatte ich Totos wenig originell benanntes viertes Album "IV" als kostengünstige Wühltisch-LP erworben und Gefallen nicht nur an den mir vorab bekannten Singles gefunden. "Rosanna" und vor allem "Africa" liefen seinerzeit gerne und oft im von mir bevorzugten heimischen Radiosender und seither auch auf meinem Plattenspieler. Als besagter Schulfreund mir also das ebenfalls leidlich kreativ betitelte siebte Werk "The Seventh One" auf Cassette aufnahm, wusste ich nur zu gut, was ich mir da ins Haus holte.

Rannte ich daher sehenden Auges ins Verderben? Zog mich gar der Herdentrieb auf die dunkle Seite, wo zuckergusssüße Melodien und allenfalls auflockernde Gitarrenriffs herrschten? Nein - es war ganz anders. Ich wollte es so. Damals wie heute geht mir nämlich ums Verrecken nicht in den sturen Schädel, weshalb man im Leben immer und immer wieder belehrt wird, man habe etwas zu lassen, weil man etwas anderes tue. Und so mache ich ganz gern mal beides, ohne eines zu vernachlässigen. Soll heißen: Meine Liebe zu den Ramones und New Model Army war und ist so ehrlich wie jene zu Toto (und übrigens auch vergleichbaren Interpreten). Oder anders: Würde ich meine Tonträgersammlung noch konsequenter alphanumerisch sortieren, so stünde Reinhard Mey gar nicht so weit entfernt von Napalm Death. Und das ist nicht nur gut so, sondern macht vor allem Spaß.

Dogmatiker und Genre-Veteranen, die sich nicht bereits beherzt übergeben, werden einwenden, dass insbesondere Toto unter allen uncoolen Bands schon immer die mit Abstand uncoolste war. Dem entgegne ich zweierlei. Erstens: Begriffe dieser Art sind so hohl, dass ich sie mir am liebsten selbst definiere. Und zweitens: Ihr habt ja recht - und ich pfeife drauf (so melodisch mir das möglich ist).

Wer einfach gerne Musik hört (und dazu ist sie letztlich da), dem sollte schnuppe sein, was die Szene- oder Mucker-Polizei davon hält. Meine musikalische Sozialisation fand zu nicht unerheblichen Teilen durch meinen deutlich älteren Bruder statt, der heute ein Faible für Country und Southern Rock hat und früher dem klassischen (Hard-)Rock sein Gehör opferte. Black Sabbath, Led Zeppelin, Deep Purple (in der Mark-II-Besetzung), aber auch Pink Floyd und Blue Öyster Cult, Boston und Chicago, The Who und Jethro Tull, Queen und AC/DC - das waren die Helden meiner musikalischen Kindheit. Groß wurde ich dann in einer Welt, die ich mir selbst erschloss - mit The Cure und den Sisters Of Mercy, mit Depeche Mode und Camouflage, mit den Sex Pistols und den Replacements, mit U2 und Midnight Oil. Wenig später kamen (am liebsten innovativer) Metal und (am liebsten origineller) HipHop hinzu. Und meine ewige Hingabe für das Schaffen der Herren Springsteen, Young, Reed und Waits. Und Grunge. Und Crossover. Und Funk. Und Soul. Und Jazz. Und verdammt nochmal alles, was gut ist.

Hinzu kommt außerdem, dass nicht nur Toto-Gitarrist Steve Lukather seine Band für gnadenlos unterschätzt hält (wie er auf seinem Twitter-Account betont). Das, was sie so verhasst macht, ist ihre Stärke: Hier haben sich souveräne Studiomusiker versammelt, die natürlich nicht den Anspruch haben, die Musik zu revolutionieren, sondern sauber produzierten, unglaublich gut gespielten Radio-Rock-Pop zu veröffentlichen. Geschmeidige Gesangslinien, überraschend komplexe Rhythmen, unvergessliche Refrains, Herz, Hirn und selbstverständlich banale Texte erinnern heute an eine längst untergegangene Ära, an jene Jahre, in denen es ziemlich okay ging, sich ein Journey-Album oder eine Single von Hall & Oates zu kaufen. Das ist nostalgisch, das ist wunderbarer Eskapismus, und das macht in den richtigen Momenten Laune oder sogar Gänsehaut. Klar hatten Toto ihre Tiefpunkte (Lukather erinnert sich zum Beispiel ungern an die Zeit, als er sich auf der Bühne fragte, wo zum Teufel die ganzen Porcaro-Jungs denn seien). Aber ihre Höhepunkte machen das mehr als wett. Hört euch mal wieder "Hold The Line" an. Und zwar bewusst. Und dann haltet die Klappe.

Im Übrigen passiert gerade etwas Ähnliches, wie ich es in den 90ern bereits erlebt habe: Uncool wird das neue Cool. Mitschüler, die mich und meinen Musikgeschmack kurz zuvor noch verächtlich belächelt hatten, wollten damals Mixtapes mit all jenen Bands von mir, auf die sich die seinerzeit neuen Helden beriefen. Die Stooges waren langweiliger Rock für alte Leute, bis Cobain ein T-Shirt von ihnen trug. Die Doors waren out, bis der Film im Kino lief. Und wo klauten Soundgarden nochmal ihre Riffs? Die Online-Serie "Yacht Rock" und die Sampler-Reihe "Too Slow To Disco" hieven aktuell den Softrock der späten 70er und frühen 80er ins Feuilleton. Inklusive all der Schnauzbärte und gewagten Frisuren.

Kein "Ich hab's euch ja gleich gesagt" an dieser Stelle von meiner Seite. Das wäre mir zu uncool.

Dienstag, 19. Juli 2016

Mein Dogma (IV)

Der kleine Sonnenkönig ist schuld. Und es freut mich, dass in diesem ersten Satz das Wort "Schuld" vorkommt. Denn das mag der kleine Sonnenkönig gar nicht gern. Auch das Wort "Dogma" gefällt ihm nicht, deshalb ist es gut, dass es im Titel auftaucht.

Es gibt ohnehin nicht viel, das dem kleinen Sonnenkönig gefällt. Denn gefällt ihm etwas, so hat er keinen Grund, seine Macht zu demonstrieren. Diese besteht darin, sein ihm ergebenes Volk zu erpressen, indem er für den Fall mangelnder Zustimmung sehr blutige Konsequenzen ankündigt. Um den Unterdrückten zu beweisen, wie ernst es ihm ist, wirft der kleine Sonnenkönig sehr gern sein Mobiltelefon in den Fluss. Oder er rasiert sich seine Haare ab. Oder er versteckt sich im fernen Osten und trinkt viel Alkohol. Sein Volk macht sich dann immer Sorgen um den vermeintlich bedrohten Herrscher. Und auch das gefällt dem kleinen Sonnenkönig. Also gefällt ihm eigentlich doch recht viel.

Am liebsten fotografiert der kleine Sonnenkönig andere beim Sex. Danach verfremdet er die Bilder bis zur Unkenntlichkeit, das ist dann Kunst oder muss zumindest vom Volk so genannt werden. Wer sich nicht an diese Regeln hält, die der kleine Sonnenkönig als völlig undogmatisch und frei von Schuld anpreist, muss nicht nur verantworten, dass der Monarch zu Handy oder Schere greift. Er ist zudem ein "Spießer" und ein "Wessi" und ein "Protestant", zumindest nennt ihn der kleine Sonnenkönig so.

Warum der kleine Sonnenkönig all das tut? Es ist ihm wichtig, immer und überall deutlich zu machen, dass er der Mittelpunkt des Universums ist. Darum hat er sich sein Symbol, die Sonne, auf den Bauch tätowieren lassen. Und darum geht er sehr sparsam mit jenem Begriff um, der das Gegenteil von "Protestant" und "Wessi" und "Spießer" ist: "Du bist so 'ne Sonne" - dieses royale Lob bekommen nur wenige zu hören.

Die meisten anderen Menschen sind für den kleinen Sonnenkönig einfach "Menschen". Mehr an Beachtung oder Unterscheidung haben sie nicht verdient. Schließlich sind sie das Volk, und das Volk muss nur gehorchen. Manche Menschen nennt der kleine Sonnenkönig wegen ihres Alters "kleine Menschen". Und einen nennt er gar "den wichtigsten Mensch". Dieser hat eine verantwortungsvolle Aufgabe: Er muss streng darauf achten, dass das Volk pariert und nicht gegen die Regeln, die nicht Dogmen genannt werden dürfen, verstößt. Zu diesem Zweck beschreibt "der wichtigste Mensch" die Folgen einer eventuellen Zuwiderhandlung oder mangelnden Gehorsams in apokalyptischen Szenarien. Viele davon enthalten das Ableben des kleinen Sonnenkönigs. Und das möchte natürlich niemand verantworten - also die Schuld daran auf sich laden, die nicht Schuld genannt werden darf.

Kompliziert? So sind sie eben, die Gedankengänge des kleinen Sonnenkönigs. Da schwebt er also in der Mitte seines Universums, während "der wichtigste Mensch" um ihn kreist und das Volk dabei zusieht oder dann und wann begeistert applaudiert. Zum Beispiel, als der kleine Sonnenkönig sein komplexes Regelwerk um eine ganz einfache Vorgabe ergänzte. Sie lautet: Der da ist der Böse. Es ist dem kleinen Sonnenkönig egal, weshalb das so ist. Er zelebriert die Verachtung für seinen neuen Todfeind mit lechzender Begeisterung hinter dessen Rücken. Und dem Volk sind die Hintergründe ohnehin egal. Es erfüllt seine Aufgabe, es jubelt dem Herrscher zu und ist froh, dass der kleine Sonnenkönig weiterhin leuchtet statt zu trinken oder sich zu rasieren oder Richtung Osten aufzubrechen.

"Der da" bin ich. Ich bin das einzige Ziel im kaputten Dasein des kleinen Sonnenkönigs, und ich habe einige Zeit gebraucht, um mich an diese Rolle zu gewöhnen. Denn früher einmal hat der kleine Sonnenkönig so getan, als sei er mein Freund. Hat diese Lüge aus Feigheit aufrecht erhalten, die nun mal sein wesentlicher Charakterzug ist. Und hat erst die Wahrheit rausgelassen, als der Moment unpassender nicht sein konnte. Was ist schon der Tod eines lieben Menschen, wenn der kleine Sonnenkönig seinen Auftritt haben will?

Abstand sollte ich halten, forderte der kleine Sonnenkönig. Das war leicht und tat gut, nahm anstrengende und sinnlose Aufgaben aus meinem Leben und Menschen, auf deren Heuchelei ich dankend verzichte. Nun funkelt er mich böse an, aus seinen kleinen misstrauischen Sonnenkönigaugen, die viel zu oft auch auf diese Seiten gerichtet waren.

Ich halte Abstand, schon aus Verachtung. Und ich habe aufgehört, Texte zu schreiben. Nur selten wurde hier etwas veröffentlicht, weil ich dem kleinen Sonnenkönig keine neue Munition verschaffen wollte.

Doch das ist nun vorbei. Der kleine Sonnenkönig ist nur ein armer Wurm und sein Universum nicht meins. Ich wünsche ihm alles Schlechte. Ich schreibe wieder, soll er doch meine Worte hinter meinem Rücken fehl- und überinterpretieren, wenn ihm danach ist. Das ist nicht meine Schuld. Es ist die des kleinen Sonnenkönigs. Ich bin nicht das Volk.

Donnerstag, 21. Januar 2016

Herzensangelegenheiten

Eine praktisch unlösbare Aufgabe, obwohl und vielleicht gerade weil sie so klassisch ist und schon häufig gestellt wurde: eine Liste der absoluten Lieblingslieder basteln. Eine Freundin hatte auf Facebook spontan ihre Top 50 veröffentlicht - und praktisch sofort wieder relativiert. Und das mit Recht, denn seien wir ehrlich: Mehr als eine Momentaufnahme ist einfach nicht drin.

Und: fünfzig? Mehr nicht? Wie soll das denn gehen?! Tapfer versuchte ich mich daran, die allerallerwichtigsten einhundert Songs für die Insel aufzulisten... und scheiterte jämmerlich. 149 mussten es mindestens sein, da konnte ich sogar noch um einen aufrunden. Perfekt.

Oder eben nicht. In meinen Top 150 findet der Rock der 70er zu wenig statt, es weht allenfalls ein Hauch aus der Gruft herüber, Schwermetall fällt fast vollständig raus, ungezählte Lieblingsbands mussten dran glauben, von Lieblingsalben ganz zu schweigen, Jazz riecht hier nicht mal streng, Muttersprachliches bleibt zum Großteil stumm... Dafür ist erstaunlich viel Pop dabei, erwartungsgemäß kaum Neues und nicht so viele Geheimtipps wie geplant, aber ein paar Coverversionen. Letztlich ist es der Mut zur Lücke, das Bewusstsein, den verdammten Felsbrocken eben niemals den Berg raufzukriegen, die diese Liste prägen. Und überhaupt: Auf die einsame Insel käme ohnehin der iPod mit, im Auto glüht ein USB-Stick.

Wie dem auch sei - das hier ist meine Top-150-Liste, getränkt mit Blut, Schweiß und Tränen, natürlich ohne Rangfolge, sondern alphabetisch sortiert. Alle diese Lieder haben mein Leben geprägt oder mich zumindest ein Stück begleitet. To whom it may concern:

B.o.B feat. Hayley Williams: Airplanes ("B.o.B Presents: The Adventures Of Bobby Ray", 2010)
The Jimi Hendrix Experience: All Along The Watchtower ("Electric Ladyland", 1968)
Lionel Richie: All Night Long ("Can't Slow Down", 1983)
Morphine: All Wrong ("Cure For Pain", 1993)
Talking Heads: And She Was ("Little Creatures", 1985)
Rush: Animate ("Counterparts", 1993)
Roxy Music: Avalon ("Avalon", 1982)
Kim Carnes: Bette Davis Eyes ("Mistaken Identity", 1981)
Stan Ridgway: The Big Heat ("The Big Heat", 1986)
Helmet: Biscuits For Smut ("Betty", 1994)
The Afghan Whigs: Blame etc. ("Black Love", 1996)
Carter USM: Bloodsport For All ("30 Something", 1991)
The Fatima Mansions: Blues For Ceausescu ("Viva Dead Ponies", 1990)
Fischmob: Bonanzarad ("Männer können seine Gefühle nicht zeigen", 1995)
The Cure: Boys Don't Cry ("Boys Don't Cry", 1980)
Don Henley: The Boys Of Summer ("Building The Perfect Beast", 1984)
Mother Tongue: Broken ("Mother Tongue", 1994)
U2: Bullet The Blue Sky ("The Joshua Tree", 1987)
Frank Black: Calistan ("Teenager Of The Year", 1994)
Iron Maiden: Can I Play With Madness ("Seventh Son Of A Seventh Son", 1988)
The Police: Can't Stand Losing You ("Outlandos d'amour", 1978)
Grace Kairos: Carolina ("Emotionspark", 1989)
Mother Love Bone: Chloe Dancer/Crown Of Thorns ("Mother Love Bone", 1992)
Bruce Springsteen: Dancing In The Dark ("Born In The U.S.A.", 1984)
Spliff: Deja vu ("85555", 1982)
Stephan Eicher: Dejeuner en paix ("Engelberg", 1991)
Lou Reed: Dirty Blvd. ("New York", 1989)
The The: Dogs Of Lust ("Dusk", 1993)
Men At Work: Down Under ("Business As Usual", 1981)
fIREHOSE: Down With The Bass ("Flyin' The Flannel", 1991)
Spermbirds: Eating Glass ("Eating Glass", 1990)
Ideal: Erschießen ("Der Ernst des Lebens", 1981)
The Buzzcocks: Ever Fallen In Love ("Love Bites", 1978)
The Wallflowers: Everybody Out Of The Water ("Red Letter Days", 2002)
The Bollock Brothers: The Faith Healer ("The Four Horsemen Of The Apocalypse", 1985)
The Gaslight Anthem: Film Noir ("The '59 Sound", 2009)
Mike Oldfield: Five Miles Out ("Five Miles Out", 1982)
Fleetwood Mac: Go Your Own Way ("Rumours", 1977)
Tom Waits: Goin' Out West ("Bone Machine", 1992)
The Jam: Going Underground ("Going Underground", 1980)
Bob Geldof: The Great Song Of Indifference ("The Vegetarians Of Love", 1990)
Kyuss: Green Machine ("Blues For The Red Sun", 1992)
Jeff Buckley: Hallelujah ("Grace", 1994)
Teenage Fanclub: Hang On ("Thirteen", 1993)
The Housemartins: Happy Hour ("London 0 Hull 4", 1986)
Huey Lewis & The News: The Heart Of Rock'n'Roll ("Sports", 1983)
Jaya The Cat: Hello Hangover ("More Latenight Transmissions With...", 2007)
D:A:D: Helpyourselfish ("Helpyourselfish", 1995)
Stakka Bo: Here We Go ("Supermarket", 1993)
Creedence Clearwater Revival: Hey Tonight ("Pendulum", 1970)
The Fray: How To Save A Life ("How To Save A Life", 2005)
Temple Of The Dog: Hunger Strike ("Temple Of The Dog", 1991)
Motörhead feat. Ozzy Osbourne & Slash: I Ain't No Nice Guy ("March Or Die", 1992)
Smashing Pumpkins: I Am One ("Gish", 1991)
Hothouse Flowers: I Can See Clearly Now ("Home", 1990)
Tom Petty: I Won't Back Down ("Full Moon Fever", 1989)
John Lennon: Instant Karma! ("Instant Karma!", 1970)
Lemonheads: It's A Shame About Ray ("It's A Shame About Ray", 1992)
Queen: It's Late ("News Of The World", 1977)
Randy Newman: It's Money That Matters ("Land Of Dreams", 1988)
Guns N' Roses: It's So Easy ("Appetite For Destruction", 1987)
Pearl Jam: Jeremy ("Ten", 1991)
Marillion: Kayleigh ("Misplaced Childhood", 1985)
Ned's Atomic Dustbin: Kill Your Television ("God Fodder", 1991)
Seal: Kiss From A Rose ("Seal", 1994)
3 Doors Down: Kryptonite ("The Better Life", 1999)
The Replacements: The Ledge ("Pleased To Meet Me", 1987)
Devin Townsend: Life ("Ocean Machine: Biomech", 1997)
Talk Talk: Life's What You Make It ("The Colour Of Spring", 1986)
Ultra Vivid Scene: Lightning ("Joy 1967-1990", 1990)
Melissa Etheridge: Like The Way I Do ("Melissa Etheridge", 1988)
Of Monsters And Men: Little Talks ("My Head Is An Animal", 2012)
R.E.M.: Losing My Religion ("Out Of Time", 1991)
Killing Joke: Love Like Blood ("Night Time", 1985)
Thunder: Low Life In High Places ("Laughing On Judgement Day", 1992)
O.M.D.: Maid Of Orleans ("Architecture & Morality", 1981)
Trouble: Manic Frustration ("Manic Frustration", 1992)
Fischer-Z: Marliese ("Red Skies Over Paradise", 1981)
Faith No More: MidLife Crisis ("Angel Dust", 1992)
Corrosion Of Conformity: Mine Are The Eyes Of God ("Blind", 1991)
Dire Straits: Money For Nothing ("Brothers In Arms", 1985)
Boston: More Than A Feeling ("Boston", 1976)
Natural Life: Natural Life ("Natural Life", 1992)
Clockhammer: Needle's Eye ("So Much For You", 1994)
Frank Turner: The Next Storm ("Positive Songs For Negative People", 2015)
Michael Penn: No Myth ("March", 1989)
Del Amitri: Nothing Ever Happens ("Waking Hours", 1989)
Magnum: On A Storyteller's Night ("On A Storyteller's Night", 1985)
Pink Floyd: On The Turning Away ("A Momentary Lapse Of Reason", 1987)
The Notwist: One Dark Love Poem ("Nook", 1992)
The Levellers: One Way ("Levelling The Land", 1991)
Anthrax: Only ("Sound Of White Noise", 1993)
Santana: Open Invitation ("Inner Secrets", 1978)
Madness: Our House ("The Rise & Fall", 1982)
King's X: Pretend ("Dogman", 1994)
Buckcherry: Pride ("Confessions", 2013)
World Party: Put The Message In The Box ("Goodbye Jumbo", 1990)
The Shining: Quicksilver ("True Skies", 2002)
Golden Earring: Radar Love ("Moontan", 1973)
Jesus Jones: Real, Real, Real ("Doubt", 1991)
Billy Talent: Red Flag ("Billy Talent II", 2006)
Van Halen: Right Now ("For Unlawful Carnal Knowledge", 1991)
Meat Loaf: Rock And Roll Dreams Come Through ("Bat Out Of Hell II: Back Into Hell", 1993)
The Clash: Rock The Casbah ("Combat Rock", 1982)
Neil Young: Rockin' In The Free World ("Freedom", 1989)
Adele: Rolling In The Deep ("21", 2011)
AC/DC: Shoot To Thrill ("Back In Black", 1980)
...But Alive: Sie war, sie ist, sie bleibt ("Für uns nicht", 1993)
Cyndi Lauper, Ani DiFranco & Vivian Green: Sisters Of Avalon ("The Body Acoustic", 2005)
Tasmin Archer: Sleeping Satellite ("Great Expectations", 1992)
Tool: Sober ("Undertow", 1993)
Peter Gabriel: Solsbury Hill ("Peter Gabriel", 1977)
Naked Sun: A Song On Fire ("Naked Sun", 1991)
Free: Songs Of Yesterday (The Peel Sessions) ("Before The Fall: The Peel Sessions '67-'77", 1991)
Danko Jones: Sound Of Love ("Born A Lion", 2002)
Joy Division: The Sound Of Music ("Still", 1981)
Soundgarden: Spoonman ("Superunknown", 1994)
Therapy?: Stop It You're Killing Me ("Troublegum", 1994)
Spock's Beard: Strange World ("The Kindness Of Strangers", 1998)
dEUS: Suds & Soda ("Worst Case Scenario", 1994)
Electric Lizard: Sundance ("Electric Lizard (Demo)", 1999)
Corey Hart: Sunglasses At Night ("First Offense", 1984)
Black Sabbath: Supernaut ("Vol. 4", 1972)
Rolling Stones: Sympathy For The Devil ("Beggars Banquet", 1968)
Lisa Loeb & Nine Stories: Taffy ("Tails", 1995)
Raging Slab: Take A Hold ("Dynamite Monster Boogie Concert", 1993)
Eddie Money: Take Me Home Tonight ("Can't Hold Back", 1986)
Genesis: That's All ("Genesis", 1983)
Plan B: This Is Not A Movie ("The Greenhouse Effect", 1989)
Elton John: Tiny Dancer ("Madman Across The Water", 1971)
Depeche Mode: Two Minute Warning ("Construction Time Again", 1983)
Midnight Oil: Underwater ("Breathe", 1996)
Kings Of Leon: Use Somebody ("Only By The Night", 2008)
New Model Army: Vagabonds ("Thunder And Consolation", 1989)
Thin Lizzy: Waiting For An Alibi ("Black Rose - A Rock Legend", 1979)
Fugazi: Waiting Room ("13 Songs", 1989)
Rage Against The Machine: Wake Up ("Rage Against The Machine", 1992)
Led Zeppelin: The Wanton Song ("Physical Graffiti", 1975)
John Cougar Mellencamp: We Are The People ("The Lonesome Jubilee", 1987)
Everlast: What It's Like ("Whitey Ford Sings The Blues", 1998)
Oasis: Whatever ("Whatever", 1994)
Hoodoo Gurus: What's My Scene ("Blow Your Cool", 1987)
4 Non Blondes: What's Up ("Bigger, Better, Faster, More!", 1992)
Social Distortion: When The Angels Sing ("White Light, White Heat, White Trash", 1996)
The Cult: The Witch ("Pure Cult: For Rockers, Ravers, Lovers And Sinners", 1993)
Fury In The Slaughterhouse: Won't Forget These Days ("Jau!", 1990)
The Who: Won't Get Fooled Again ("Who's Next", 1971)
Alice In Chains: Would? ("Dirt", 1992)
Eternal Rest: You're Not My God ("No. 1", 1994)
The Catch: 25 Years ("Balance On Wires", 1984)

Montag, 11. Januar 2016

Herzensangelegenheiten

Mein bester Freund und ich haben eine makabere Tradition: Wann immer einer unserer Helden stirbt, informieren wir den jeweils anderen darüber mit einer kurzen Nachricht, die nur den Namen des Verstorbenen enthält. Am frühen Montagmorgen simsten wir uns fast gleichzeitig: "David Bowie." Und das war eine traurige Art, die Woche zu beginnen.

Er war schwer zu greifen, kaum zu begreifen und machte sich oft genug angreifbar. Er war der "thin white duke" und der Mann, der vom Himmel fiel, Ziggy Stardust und Trollkönig, hat getanzt mit Mick Jagger und gerockt mit Tin Machine, alles ausprobiert und viel gelernt, noch mehr beigebracht und immer unterhalten. Und so erinnert sich jeder an ein anderes Bild von David Robert Jones, dessen Verstand so scharf war wie das Messer, nach dem er sich benannt hat.

Bis zuletzt kam seine Musik eher aus dem Hirn als aus dem Herzen, hat er sich als Gesamtkunstwerk inszeniert, mit einem wachen Blick nach außen und für die Augen seines Publikums.

Für sein letztes Werk "Blackstar" holte er sich Inspiration im Jazz, versammelte Musiker um sich, die seiner grellbunten Vita eine Farbe hinzufügten, die er bis dahin ausgelassen hatte: ein kräftiges Schwarz. Die Platte erschien an seinem 69. Geburtstag, zwei Tage vor seinem Tod. Er wusste, dass dies sein Abschiedsalbum werden würde. "Schau nach oben", singt er unter anderem, "ich bin im Himmel. Ich habe Narben, die man nicht sehen kann."

Die Verletzungen, die er uns sehen ließ, waren aufgemalt. Die echten Narben verbarg er, auch nach dem Herzinfarkt, der vor zwölf Jahren seiner Live-Karriere ein Ende setzte. Man sah ihn später durch New York streifen, mit Mantel und Sonnenbrille, getarnt statt verkleidet. Eine neue Rolle, die wir noch nicht kannten.

Vielleicht ist er jetzt ins All zurückgekehrt. Als Lemmy vor kurzem ging, wurde es leiser auf der Welt. Nun fehlt auch noch Farbe.

Freitag, 1. Januar 2016

Kino- und Fernseh-Kritiken

...finden hier nicht mehr statt. Zumindest gibt es keine neuen.

Aber kein Grund zum Heulen, denn weiter geht es auf www.sitzkartoffel.de - viel Spaß!