Montag, 15. Juni 2015

Herzensangelegenheiten

Eine Musik-Cassette, mit Kugelschreiber eher achtlos beschriftet, brachte uns einige Wochen Begeisterung und ungezählte gute Gespräche. Wir - das waren ein seinerzeit guter Freund und ich - hatten das recht gammelige Stück gemeinsam auf dem Oberstadt-Flohmarkt erworben. Vermutlich für ein paar Pfennige, trotzdem teilten wir uns diese Summe brüderlich, um die Frage, wer sie sich wann anhören darf, möglichst schnell und unkompliziert zu beantworten. Die Cassette gehörte jedem zu exakt 50 Prozent. Und somit auch die Hälfte der Diskussionen, die während des ersten gemeinsamen Anhörens in einer kleinen Gruppe begannen.

Die Streaming-Kids und Google-Gewohnheitstiere werden das heute nicht verstehen können. Aber wer Anfang der sehr frühen 90er einen von Unbekannten zusammengestellten und eher achtlos dokumentierten Musikmix auf einem schon damals leicht antiquierten Tonträger erwarb... war ein ziemlicher Freak. Denn was zur Hölle hörten wir da eigentlich? Der größte Teil der Lieder schien von der gleichen Band zu stammen, soviel war am Gitarrensound und vor allem am Gesang auszumachen. Gewissermaßen als Bonus hatte der Vorbesitzer das Band mit zwei weiteren Songs aufgefüllt. In einem davon sang eine uns durchaus bekannt vorkommende Stimme davon, es fühle sich an, als habe jemand dem Ich-Erzähler etwas in seinen Drink getan. Der andere war eine Coverversion von "Like A Hurricane", das wir natürlich in der Originalfassung von Neil Young kannten. Mehr an Infos hatten wir nicht, und der zunächst naheliegende Gedanke, unseren Erwerb in Marburgs seinerzeit beliebtestem Plattenladen vorzuführen, wurde rasch verworfen. Wir befürchteten, die Veteranen dort könnten ihre Expertise mit einer Portion Spott würzen. Oder schlimmer noch: uns zum Kauf der zugrundeliegenden Alben nötigen.

Also hörten wir eifrig unser Tape, analysierten Klangfarbe und Arrangements, wälzten Musiklexika und machten den leiernden Schatz zum Gegenstand manch aufgeregter Debatte. Ich weiß nicht mehr genau, wer uns welchen Tipp gab, aber irgendwann hatten wir raus, was wir da mit zunehmender Begeisterung über verschrammte Boxen und billige Walkman-Hörer laufen ließen. The Mission - ein Ableger der Sisters Of Mercy um deren Ex-Gitarristen Wayne Hussey - hatten sich Old Neil angenommen und damit eine klare Empfehlung ausgesprochen, sich auch ihren eigenen Kompositionen zu widmen. Die Ramones gaben sich mit "Somebody Put Something In My Drink" nicht nur ungewohnt missgelaunt, sondern uns zugleich den Tipp, nicht nur ihre erste Platte aufzulegen.

Und das Album, das den Löwenanteil der mysteriösen Playlist ausmachte? Ist seither eine meiner Lieblingsplatten, von einer meiner Lieblingsbands - und gehört in jeden guten Haushalt: "Pleased To Meet Me" von den Replacements. Gibt's übrigens nicht nur auf verranzten Cassetten. Und eignet sich auch 25 Jahre später noch als Sommer-Soundtrack.