Freitag, 15. Mai 2015

Kino-Kritik: "Mad Max: Fury Road"

Mürrisch zerkaut Max Rockatansky (Tom Hardy) eine zweiköpfige Eidechse, wirft dann den V8 an und rast durch das endlose Ödland, das mal Australien war. Es dauert keine Minute, bis man wieder mittendrin ist in der zerstörten Welt des psychisch labilen Einzelgängers, die zuletzt vor 30 Jahren auf der Leinwand zu sehen war. Und weder dem kaputten Ex-Cop noch den Zuschauern bleibt in den folgenden zwei Stunden viel Zeit zum Luftholen.

Diesmal gerät der postapokalyptische Wüstenwanderer an Immortan Joe (Hugh Keays-Byrne), selbsternannter Erlöser und Herrscher über die einzige Trinkwasserquelle in der Gegend. Maske und Rüstung verbergen den entstellten Körper des physisch offenbar wenig beeindruckenden Tyrannen - seine wahre Macht bezieht er aus der Unterstützung durch seine so genannten War Boys, gleichfalls angeschlagene, aber durch die Blutzufuhr ihrer Opfer kampfbereite juvenile Bleichgesichter, die ihrem Herrn gegenüber klerikal ergeben sind. Joes Brüder sind ähnlich wie er verstümmelt an Körper und Geist, und gemeinsam überfallen die Bewohner der "Zitadelle" genannten Oase in ihren aufgemotzten Boliden regelmäßig die umliegenden Siedlungen, immer auf der Suche nach Treibstoff und Lebenssaft. Zu den Anführern der War Boys gehört die einarmige Amazone Furiosa (Charlize Theron), die jedoch irgendwann nach ihren eigenen Regeln spielt.

Max ist mal wieder zur falschen Zeit am falschen Ort, gerät nur durch Zufall zuerst in die Gefangenschaft der mutierten Horden und dann zwischen die Fronten. Und natürlich - soviel sei verraten - wird er wie in den ersten drei Filmen irgendwann zum unfreiwilligen Helden, der mit der gleichen Härte zurückschlägt, die die bösen Buben an den Tag legen. Das Ende der Zivilisation ist eben kein Kindergeburtstag - spätestens seit "The Walking Dead" ist das auch für ein größeres Publikum nichts Neues.

Hässliche Warlords, deren unheimliche Schergen, auf der anderen Seite abgerissene Außenseiter, dazu absurd konstruierte Rennwagen, das alles in der Gluthitze des fünften Kontinents nach der großen Katastrophe - diese Bilder scheinen dem Fiebertraum des Typen entsprungen zu sein, der für die Meat-Loaf-Plattencover verantwortlich ist. Und sie sind seit drei Jahrzehnten durchaus Klischees. Allerdings ist Regisseur George Miller so ziemlich der Einzige, der sich ihrer bedienen darf: Der Mann hat sie nämlich erfunden. Sein erster "Mad Max"-Film hat 1979 Kinogeschichte geschrieben. Und es ist nicht Millers Schuld, dass italienische Billigproduktionen in der Folge ein fragwürdiges Genre daraus geschustert haben, als sie in den 80ern die Videotheken überschwemmten.

Mit "Mad Max: Fury Road" folgt nun nach langer Pause sowie etlichen Problemen vor und während der Dreharbeiten der vierte Teil der Reihe. Miller zitiert sich selbst, und das ist auch gut so. Denn die wilde Jagd durch die sandige Hölle ist gleichsam Fortsetzung wie Neuanfang. Hardy legt seinen verrückten Max als modernisierte Version der Figur an, die Mel Gibson einst berühmt gemacht hat. Glücklicherweise ist er Schauspieler genug, um nicht nur die physischen Herausforderungen zu meistern, sondern tatsächlich an den Charakter zu erinnern, den wir aus der ersten Trilogie kennen. Andererseits dreht George Miller die Schraube sichtbar weiter: Während in "Mad Max" lediglich ein angekratztes Australien als Kulisse diente und auch in den Sequels die Postapokalypse eher behauptet als gezeigt wurde, bekommen wir diesmal mutierte Kleintiere und vernarbte Menschen zu sehen. Die Gesellschaft, die sich aus dem immer noch recht vage definierten Chaos erhoben hat, lebt nach eigenen Gesetzen, weckt aber gleichsam Erinnerungen an unsere Gegenwart, an Riten, Religionen und Regeln. Bestes Beispiel dafür, dass die hoffnungslose Endzeit in Maxes viertem Abenteuer vergleichsweise realistisch und nachvollziehbar wirkt, sind die War Boys. Sie wurden hineingeboren in eine kaputte Welt, in der das Recht des Stärkeren gilt. Sie kennen nichts als rücksichtsloses Überleben, noch dazu verblendet durch einen zusammengeklauten Kult, der verhindert, dass sie sich als Individuen wahrnehmen.

Das ist fast schon mehr philosophischer Überbau, als dieser minimalistisch angelegte Film tragen kann. Doch setzt George Miller erfolgreich auf zwei stabile Säulen: Die Darsteller geben alles, und sie schaffen es, aus schwitzenden Abziehbildern tatsächliche Charaktere zu machen. Charlize Theron bewahrt ihrer körperlich wie seelisch angeschlagenen Figur eine beeindruckende Würde, Tom Hardy blutet und leidet und gibt den halluzinierenden Helden, und auch Nicholas Hoult als strauchelnder War Boy Nux ist weit mehr als ein blasser Stichwortgeber. Selbst Keays-Byrne als anämischer Antagonist schafft es, allein über aggressive Blicke bedrohlich zu wirken. (Damit hatte Tom Hardy in "The Dark Knight Rises" ja durchaus Probleme.) Das überrascht kaum, immerhin spielte er bereits im ersten "Mad Max" den Finsterling Toecutter.

Das zweite Standbein sind natürlich die Actionszenen, die man wirklich nur als spektakulär bezeichnen kann. Dabei setzt Miller erfreulicherweise auf handgemachte Verfolgungsjagden und Kampfsequenzen - und das sieht man. Während in Rohrkrepierern wie dem letzten "Stirb langsam"-Streifen selbst Glassplitter am Rechner zusammengeklickt wurden, reißt einen das geerdete Gemetzel auf der "Fury Road" einfach mit. Der Film besteht letztlich aus wenig mehr als einer halsbrecherischen Tour voller Blut, Schweiß, Feuer und Benzin. Doch die sucht ihresgleichen - nicht umsonst überschlagen sich Kritiker und Fans in aller Welt schon jetzt angesichts dieser rohen Wucht und Dynamik.

Die mörderische Hatz durchs zerstörte down under kann sich also sehen lassen. Mit einer Einschränkung: Obwohl der Film ab 16 Jahren freigegeben ist, dürften auch hartgesottene Kinogänger das eine oder andere Mal schwer zu schlucken haben. Tatsächlich ist gar nicht besonders viel zu sehen, wenngleich bleiche Freaks und schmutzige Retter sich gegenseitig reihenweise ins Jenseits befördern. Aber das Kopfkino genügt ja manchmal - zwei, drei verstümmelte Zwerge und menschenverachtende Todesarten weniger hätten es eventuell auch getan. Andererseits macht gerade das den Reiz dieses unerwarteten Comebacks aus: Mad Max ist zurück. Konsequent, knallhart - und eben immer am Rande des Wahnsinns.

Macht acht von zehn dröhnenden Auspuffrohren für ein unterhaltsames Ende der Welt.

Mittwoch, 13. Mai 2015

Das Leben ist live II

Was man vor, neben und hinter der Bühne erleben kann:

18. April 1990: Zwei leicht verranzt aussehende Kerle schleichen sich auf die Bühne der Offenbacher Stadthalle. Sie nennen sich Storm, und ihre Musik klingt eher wie die Ruhe davor. Die Midnight-Oil-Fans warten gelassen auf ihre Band, ich freue mich über die akustische Version von "Every Breath You Take". Ein Liebeskummer-Song für mich.

16. Juni 1990: Auf dem heimischen Plattenteller dreht sich nicht nur, was im "Zillo" steht. John Mayall und Rory Gallagher verschaffen einen Blick auf eine Welt jenseits düster dräuender Gitarren. "Hey, lass uns das Blues-Konzert im KFZ besuchen", schlägt jemand vor. "Im was?", frage ich zurück. Eine Band namens Muddy Blues und Hannes Bauers Orchester Gnadenlos liefern den nächtlichen Soundtrack zum Beginn einer Freundschaft. Und ich meine nicht die mit dem Blues.

16. Februar 1991: "Denn mir sinn widder wer", singt Wolfgang Niedecken, und die Marburger BAP-Fans in der Stadthalle gröhlen mit. Ich bin ziemlich sicher, dass kaum jemand die Worte der Gäste vom Rhein versteht, geschweige denn ihre Intention. Aber es passt so schön: Wir sind wiedervereinigt, wir sind Weltmeister, wir sind wieder wer "zwesche Alpe un Meer". Da brüllt es sich leicht. Ich bin vermutlich der einzige, dem an diesem Abend aus anderen Gründen kalte Schauer über den Rücken laufen. Musik beginnt, ihre Unschuld zu verlieren. Von wegen, böse Menschen haben keine Lieder. Wollt Ihr das totale Brötchen? Und jetzt alle...

9. März 1991: Wiglaf Droste und Bela B. haben recht: Herbert kann nicht tanzen. Weil einer von uns ein Gipsbein hat, lassen uns die Türsteher der Hessenhalle in Alsfeld zu den Logenplätzen, und wir haben gute Sicht auf das Drama da unten. Grönemeyer gibt alles, lacht, schwitzt, "hospitalistisch, autistisch". Er rennt von einer Seite der Bühne zur anderen, um auf halber Strecke das Mikro zu greifen. Gar keine gute Idee. Der Mikroständer ist erstaunlich stabil, Herbert eher nicht. Geht zu Boden, lacht nicht mehr, schwitzt nur noch. "Kann nichts sagen - Angst." Bis er sich aufrappelt, spielt die Band stoisch weiter. Unter dem Jubel der Massen steht Grönemeyer schließlich wieder auf beiden Beinen, sein Scheitel wippt verlegen. "Alles total kaputt."

29. Mai 1991: Ich zitiere fast täglich aus Bob Geldofs Autobiografie. Liebe das aktuelle Album "Vegetarians Of Love". Und bin glücklich, dass der Meister mein Städtchen beehrt. Das Georg-Gaßmann-Stadion wird an diesem Abend zum riesigen Pub. Besser geht es kaum. Die Leser der Lokalpresse sehen das anders: In den Briefen an die Redaktion ist später tatsächlich von "Negermusik" die Rede. So stilsicher nörgelt der Marburger.

14. Juni 1991: Na klar - da bin ich einmal im Fernsehen, wenn "Live aus dem Schlachthof" aus Schönstadt überträgt, und dann kramen die Verantwortlichen ungefähr die peinlichsten musikalischen Gäste raus, die sie finden konnten. "Let Your Love Flow", singen die Bellamy Brothers. Für Uneingeweihte: Das ist das Original von "Ein Bett im Kornfeld". Und gewinkt habe ich auch nicht.

28. Juli 1991: Verbrannte Wiese, verbrannte Haut - dieser Sommer an der Themse ist die Hölle. Etwas Abkühlung verschafft das "Kilburn Irish Youth Festival". Unter anderem schleichen sich zwei leicht verranzt aussehende Musiker auf die Bühne. Der Name Storm passt noch immer nicht, ihre akustischen Lieder sind eher eine leichte Brise. Und "Every Breath You Take" ist längst kein Liebeskummer-Song mehr.

16. Februar 1992: "Mensch, ich lieb dich doch" heißt das Stück, das im Theater neben dem Turm zu sehen war. Nach der letzten Vorstellung findet am Afföller eine Party statt. Die ist leider nicht ganz so erlebenswert wie die Location. Also fahren wir rüber in die Robert-Koch-Straße zum Café Trauma, um uns eine Punkband aus Kalifornien anzugucken. Als wir ankommen, sind die drei Amis gerade bei den Zugaben. Unter anderem hören wir "Sweet Home Alabama".  Doch noch ein gelungener Abend. Danke, Green Day.

26. Oktober 1996: Das Mädel ist sauer. Sie wollte Fleischmann im KFZ sehen, aber die Herren Jackschenties. Hoffmann und Leeder haben entgegen der Präzision ihrer Musik nicht pünktlich angefangen. Deshalb ist ihr Auftritt nicht mal halb vorbei, als die Mahnung ihrer Mutter droht, die Zuschauerin nach Hause zu zwingen. Das Problem ist schnell gelöst. "Hat jemand ein Handy dabei?", fragt Norbert Jackschenties das Publikum. Karl vom Kulturladen-Team hat eins, und so ruft der Sänger und Gitarrist von der Bühne aus die Eltern des Mädchens an und bittet sie, ihre Tochter noch etwas länger verweilen zu lassen. Diese stimmen unter dem Jubel der Zuhörer zu. Und Fleischmann spielen weiter: "Alles ist gut - jetzt ist alles gut!"

16. Juni 2007: "Geh doch nochmal zurück", schlägt Jan vor. "Es gibt bestimmt ein oder zwei Kerle, die du noch nicht angerempelt hast." Ich erwäge kurz, diesem Rat zu folgen. Eine Massenschlägerei, die die MTV Campus Invasion sprengt - das wär's jetzt. Ich bin wütend, weil das Leben nicht fair ist. Weil es mir wenige Tage zuvor einen guten Freund genommen hat. Ausgerechnet Mando Diao schaffen es, dass ich wieder runterkomme. Dabei ist ihr Auftritt völlig zerfahren und ein bisschen kaputt. Wie ich an diesem Tag. Mach's gut, Pa. Ich mach mal weiter. Es gibt noch viel zu sehen und zu hören.

(Zum ersten Teil geht's übrigens hier entlang...)