Samstag, 16. November 2013

Herzensangelegenheiten

"Was ist denn Grunge?", fragt eine Kollegin (zwölf Jahre jünger als ich). Und die Praktikantin (halb so alt wie ich) antwortet zustimmend: "Keine Ahnung - nie gehört."

So geht es eben zu in der schnellen, aber oberflächlichen Glitzerwelt des Pop. Eben noch in den Hitparaden, nun in der Versenkung. Aus den Ohren, aus dem Sinn. Dabei sind kaum zwei Jahrzehnte vergangen, seit Knarren-Kurtchen sich die Sache nochmal durch den Kopf gehen ließ. (Und um den zweibeliebtesten Kalauer zum Thema ebenfalls zu ehren - natürlich waren seine letzten Worte: "Hole's gonna be big." Kapiert heute eh niemand mehr.)

Seinerzeit hielten die Plattenbosse jedem Karohemden- und/oder Wollmützenträger einen unterschriftreifen Vertrag vor die abgeschrammelte Klampfe. Wer in der Schwermetallszene etwas auf sich hielt, schimpfte über die angeblichen Emporkömmlinge aus Amerikas Norden, die in großen Hallen spielten, wo einst toupierte Matten flogen, und ihre Gitarren auf Kniehöhe, die Köpfe aber in fernen Sphären hatten. Wer nichts auf sich hielt, machte das einfach nach.

Grunge war gestartet als Mischung aus dem Hardrock der frühen und dem Punk der späten 70er, er hat die komplette Stromgitarrenlandschaft umgepflügt, aus der Alternative die einzige Möglichkeit gemacht, aus Underdogs Überflieger und aus Stars schwarze Löcher. Dann ballerte Cobain sich in den Club 27, Layne Staley krepierte mit einer Nadel im Arm, Soundgarden verstreuten sich in die vier Himmelsrichtungen, und Pearl Jam standen daneben und zeigten den Finger. Sicher auch den Epigonen, die von allen Seiten angekrochen kamen, aus dem Süden der Staaten, von der Insel und sogar aus Europa. Die Revolution fraß nicht ihre Kinder, diesmal war es umgekehrt.

Wer wissen will, wie die Stimmung damals war und was die Musik jener Tage damit zu tun hat, sollte sich Mudhoneys "Touch Me I'm Sick" anhören (die wahre Hymne der Generation X) oder das unfassbare Album von Temple Of The Dog oder meinetwegen die eher seichte Liebeskomödie "Singles" gucken. Grundsätzlich geht es um Wut und Schmerz und Gitarren (hatte ich die Gitarren erwähnt?). Ein bisschen auch um Veränderung und darum, dass sie meist überraschend passiert.

Mark Lanegan von den Screaming Trees wurde mal gefragt, wie er sich in der Zukunft sehe. "I'll probably be one of those dumbasses that still tries to rock", sagte er. Auch das ist Grunge.