Montag, 24. Juni 2013

Kino-Kritik: "Man Of Steel"

Der Mann aus Stahl hat's nicht leicht: Selten wurde ein Film bereits lange vor dem Start mit derart viel Häme überschüttet. Die galt Regisseur Zack Snyder, Produzent Christopher Nolan und Drehbuchautor David S. Goyer, aber auch sämtlichen Schauspielern und vor allem der Grundidee als solcher.

Denn Superman war immer der perfekt frisierte Pfadfinder im blauen Strampelanzug - selbst in der quietschbunten Welt der DC-Comics (die sich vom Konkurrenten Marvel seit jeher durch ein Mehr an Capes und ein Weniger an Sozialkritik unterscheidet) fiel dieser Kerl allzu oft negativ auf. Weil er der positivste Comicheld aller Zeiten ist: Nichts erschüttert seinen Glauben an das Gute, die Menschheit und die Pfannkuchen seiner Adoptivmutter. Während Batman längst den dunklen Ritter gab (und immer noch ein bisschen mehr Waisenknabe war als Kryptons letzter Sohn) und neuere Kollegen wie Black Lightning oder der Creeper als Straßenkämpfer oder Antihelden daherkamen, flog der Mann mit dem Faible für außengetragene Unterhosen mal eben lässig in Lichtgeschwindigkeit um die Erde, verprügelte Bösewichter mit einem Fingerschnippen oder half alten Damen über die Straße. Wie also lässt sich die Geschichte dieses tugendhaften Tausendsassas spannend erzählen?

Hielt sich Richard Donner 1978 noch sklavisch an die Comicvorlage, waren Supies Fernsehabenteuer mal als Screwball-Komödie ("Die Abenteuer von Lois & Clark"), mal als Teenie-Drama ("Smallville") angelegt. Interessante Ansätze, schmales Budget - ganz anders als bei der Einschlafhilfe "Superman Returns" (2006), dem bislang letzten Versuch, den Urvater aller kostümierten Verbrecherjäger auf die große Leinwand zu bringen.

Snyder geht nun einen anderen Weg: Sein "Man Of Steel" kommt düsterer daher, abgesehen von der phantastischen Rahmenhandlung sogar relativ realistisch. Ausführlich wird die Herkunft des Superbuben erzählt. Snyder lässt uns eintauchen in eine bizarre Welt - sein Kal-El ist eben ein Fremder, ein außerirdisches Wesen vom Planeten Krypton, Mensch geworden nur durch die Erziehung seiner Adoptiveltern und seine Suche nach sich selbst. Und nachdem sein leiblicher Daddy (ein souveräner Russell Crowe als kampferprobter Wissenschaftler) ihn als Neugeborenes auf unseren Planeten geschickt hat, wird die Kindheit des späteren Helden mitnichten so behütet und wohlsortiert dargestellt wie gewohnt. Ma und Pa Kent (Diane Lane und Kevin Costner) meinen es etwas zu gut mit ihrem fremdartigen Findelkind. Der kleine Clark bleibt ein Außenseiter, ohne tatsächlichen Kontakt zu Mitschülern oder anderen Menschen. Erst als Erwachsener (Henry Cavill) lernt er seine unfreiwillige Heimat kennen, deren Bewohner und das Leben. Und als nach einem überraschend langen Intro die patente Pulitzerpreisträgerin Lois Lane (kompetent, aber fehlbesetzt: Amy Adams) und weitere Kryptonier (unter der Führung von Michael Shannon als faschistoidem General) hineintreten, beginnt eine Abfolge von Actionszenen, die ihresgleichen suchen.

Snyder und Nolan setzen ja gern mal mehr auf atemberaubende Bilder als auf Logik. Und so darf Superman im Kampf gegen die finsteren Invasoren halb Metropolis in Schutt und Asche legen. (Nicht gerade der perfekte Start in eine Karriere als unfehlbarer Champion...)

An manchen Stellen bricht der Plot also mit dem Mythos - und meist ist das sogar sinnvoll. Zudem gibt es für Geeks einiges zu diskutieren: Sind die wichtigsten Nebenfiguren dabei? (Sind sie - bis auf Jimmy Olsen.) Ist Laurence Fishburne geeignet für die Rolle des Perry White? (Ist er - wer an dieser Stelle rassistische Gründe anführt, verpisst sich gefälligst von meinem Blog.) Gibt es Hinweise auf die geplanten Fortsetzungen? (Gibt es - aber hier keine Spoiler.) Und taucht Supermans Erzfeind Lex Luthor auf? (Nein. Aber... - naja, hier keine Spoiler.)

Die wichtigste Frage: Ist "Man Of Steel" der erhoffte Action-Blockbuster des Sommers? Das ist er definitiv. Groß, laut, teuer, sehr amerikanisch. Jetzt sollte DC versuchen, Marvels gigantischen Vorsprung im Kino aufzuholen. Vielleicht klappt das ja, indem jemand mit Lichtgeschwindigkeit um den Planeten fliegt... 

Macht saubere acht von zehn Fensterglasbrillen für angehende Starreporter.

Montag, 10. Juni 2013

Herzensangelegenheiten

"Haste gelesen?", fragt Sven Regener, sprachlich ungewohnt nachlässig, inhaltlich gewohnt nervig. Er wedelt mit der aktuellen Ausgabe des Rolling Stone herum, was ich glücklicherweise nur höre und nicht sehe, denn natürlich ignoriere ich ihn und drehe mich nicht zu ihm um.

Er ist mein Mieter, nicht mein Kumpel. Sven Regener selbst benutzt gern den Begriff "Untermieter", was irgendwie cool klingen soll, aber Blödsinn ist. Die Hütte gehört mir, der feuchte Heizungskeller auch. Er bewohnt ihn nur.

Während ich mich darüber ärgere, durch eine simple Frage an verhasste Themen erinnert geworden zu sein, raschelt der "Rolling Stone" weiter, und Sven Regener legt nach: "Den Artikel hier, haste den gelesen?" Ich antworte nicht, was er einmal mehr als Aufforderung missversteht, seine Frage um eine Ausführung zu ergänzen: "Der Mick sagt, der Keith und er seien gar nicht wie Brüder, sondern eher wie Kollegen." Mein Ärger über die sinnlosen Artikel wird durch die Freude über den korrekten Konjunktiv abgemildert. Deshalb drehe ich mich nun doch um und antworte.

Und zwar: "Bist du sicher, dass du darüber mit dem Richtigen sprichst? Immerhin habe ich einige Jahrzehnte gebraucht, um zu kapieren, weshalb die Stones so beliebt sind. Da ist es zu früh, mich mit ihrem Privatleben zu beschäftigen. Ich hatte eigentlich vor, damit zu warten, bis sie..." "Warum bist du eigentlich immer so ein Arschloch?", unterbricht Sven Regener mich und weckt weitere unangenehme Erinnerungen. An den Klang seiner rostigen Trompete zum Beispiel, die samstags um 6 Uhr sogar den Rasenmäher des Nachbarn übertönt. Und da fragt er ernsthaft, weshalb ich... "Das ist doch spannend", unterbricht er erneut, diesmal meine düsteren Gedanken. "Ich dachte immer, die sind Freunde." Kein Konjunktiv ist auch eine Lösung.

Ich gehe zwei Schritte auf ihn zu und schaue auf ihn herunter. (Sven Regener ist kleiner als ich.) "Woher willst du denn wissen, was Freunde sind?", knurre ich und hoffe vergeblich, ihn mit dieser Bosheit verletzt zu haben. Dabei weiß ich es besser. Neulich hatte er nämlich ein paar Freunde zu sich eingeladen. Den ersten streckte ich noch an der Tür mit einer rechten Geraden nieder. Einfach weil er Jochen Distelmeyer war. Der zweite entkam meinem linken Haken durch rasches Hakenschlagen, was sich so unangenehm literarisch liest, dass es meine Antipathie noch verstärkt: Tom Liwa soll ja ein Netter sein. Aber das denken die Leute auch von Sven Regener. Immerhin habe ich verhindert, dass sie zusammen Musik machen.

"Freunde sind", beendet mein Mieter (ha!) zum dritten Mal mein Kopfkino, "Menschen, die für einen da sind, obwohl sie es nicht müssten." "Wer muss denn für einen da sein?", will ich wissen. "Na, aus Sicht der Gesellschaft doch wohl die Familie, Verwandtschaft, Ehe- oder Beziehungspartner", überlegt er laut. "Ich sollte ihn doch rausschmeißen", überlege ich leise. Und sage (Lautstärke irgendwo dazwischen): "Freunde sind die Familie, die man sich aussucht."

Sven Regener schweigt, denn ich habe recht. Das wissen auch der Mick und der Keith.