Sonntag, 30. September 2012

Kino-Kritik: "Schutzengel"

Luna Schweiger hat doppeltes Pech. Ihr Vorname passt auf traurige Weise zu ihrer Physiognomie, und sie hat das überschaubare Schauspieltalent ihres Vaters geerbt. Der wiederum zerrt ja gerne mal seine Töchter vor die Kamera.

Was die Menschen vor der Leinwand angeht - da ist Til Schweiger deutlich wählerischer. Statt den Pressefuzzis sein neues Meisterwerk (so heißen etwas teurere deutschsprachige Filme grundsätzlich) "Schutzengel" vorab zu zeigen, jettete der Meister (...) lieber nach Afghanistan. "Grund dafür sind die schlechten Erfahrungen, die er in der Vergangenheit mit anderen Journalisten erfuhr", weiß die Wikipedia. Da fragt man sich die Frage, was passiert, wenn nicht nur die arroganten Schreiberlinge etwas zu kritisieren haben, sondern möglicherweise auch andernorts mürrisches Gemurmel laut wird - im Kinosaal gar. Droht dann ein Bundeswehreinsatz im eigenen Land? Denn unsere Mädels und Jungs an der Front sind auf Schweigers Seite, daran lässt das, was in den vergangenen Wochen einen klassischen Trailer für "Schutzengel" ersetzte, keinen Zweifel. Wie einst die Monroe und heute gern etablierte US-Konsensrocker bespaßte Schweiger die Truppen am Hindukusch. Die dankten es ihm mit wohlwollenden Äußerungen wie: "Es hat gut widergespiegelt, wie es wirklich hier unten auch ist." Vorab: Schweigers aktueller Film behandelt keineswegs "das Thema der Kriegsrückkehrer aus Afghanistan" (nochmal Wikipedia), sondern ist ein inhaltlich schlichter Thriller und spielt noch dazu in Berlin und Brighton (!).

Es geht um das Mädchen Nina (genuschelt vom Mädchen Luna), das in den ersten fünf Filmminuten miterlebt, wie Heiner Lauterbach (als Heiner Lauterbach, der als Waffenhändler bezeichnet wird) ihrem zaghaften Flirt mit einem Hotelangestellten durch ein, zwei Pistolenkugeln ein Ende macht. Kurz darauf sitzt die traumatisierte (so wird behauptet) Mordzeugin zunächst auf einem klischeehaften Polizeirevier - inklusive engagierter Staatsanwältin (Karoline Schuch) und saufendem Chef (Herbert Knaup) -, dann in einem Versteck, wo sie von zwei Cops (Bitte nicht "Bullen" - das hier ist ein Thriller von internationalem Format!) bewacht wird. Diese sind knallhart, aber herzensgut, daran lassen die Gesichtsausdrücke der unterforderten Hannah Herzsprung und des vermutlich erleichterten Axel Stein keinen Zweifel. Kaum kommt der dritte Beschützer (Til Schweiger - wurde auch Zeit) hinzu, sprengen auch schon die bösen Buben die Appartmenttür, und es darf einige Minuten lang geballert werden, wie John Woo und Quentin Tarantino es auch deutschen Filmemachern beigebracht haben.

Der Rest der Geschichte ist ebenso überraschungsarm wie schnell erzählt: Max - so der Name des heldenhaften Haudraufs mit dem starren Blick - bringt die potenzielle Kronzeugin durchs Sperrfeuer der sinistren Schergen von Waffenverkäufer Backer. Unterwegs treffen sie in einer Art Nummernrevue auf mehr oder minder bekannte Gesichter aus Film und (häufiger) Fernsehen, darunter Oliver Korittke, Ralph Herforth, Fahri Ögün Yardim und Antoine Monot jr., deren Gastrollen mit Bezeichnungen wie "falscher Polizist" oder "Polizist" versehen wurden. Unterstützt wird das "ungleiche Duo" (Rezensentensprech) von Max' Ex - der Staatsanwältin - sowie seinem besten Freund und Kriegskameraden Rudi (gespielt von Moritz Bleibtreu - der im Übrigen der einzige ist, der sich dieses Verb redlich verdient hat). Dem fehlen seit einem gemeinsamen Einsatz in Afghanistan (aha!) zwar Unterschenkel und Füße, dafür beweist er Standfestigkeit ('tschuldigung!), wenn es darum geht, in einer Feuerpause den allenfalls angedeuteten Charakter der Hauptfigur zu erläutern. Max, so erfahren wir gähnend, ist ein dufter Typ, hat seinem Kumpel sogar das Leben gerettet, nachdem er ihn zuvor in ein Himmelfahrtskommando geführt hatte. Während Rudi in der östlichen Provinz den Späthippie gibt und Kekse futtert, zelebriert Mäxchen seither bei jeder sich bietenden Gelegenheit seine Narben an Körper und Seele. Nämlich immer dann, wenn die Kamera läuft.

Es folgen öde Kämpfe, klassisch strukturierte Humoreinlagen, schlimme Trivialdialoge ("Ich seh' dich auf der anderen Seite") und einschussgroße Logiklöcher, ehe alles in einen nach zwei Dritteln schlicht abgehackten Showdown mündet und das glückliche Ende seltsam langatmig die Überlebenden vereint.

Ist nun wirklich alles schlecht am "Schutzengel"? Nein (und ich kann selbst kaum fassen, dass ich das schreibe). Wer eine etwas hausbackene Variante US-amerikanischer Krimiklischees erwartet, wird sicher nicht enttäuscht. Bleibtreu, Knaup und wohl auch Lauterbach wissen, was sie tun, und liefern solide Souveränität ab. Es kracht bisweilen ganz ordentlich, manche Pointe scheint fast zu sitzen, und unwesentlich spannender als "Derrick" ist der Film allemal. Auf der anderen Seite (da ist sie wieder) ist Schweiger ein stark limitierter Mime, steht sein Töchterchen ihm diesbezüglich kaum nach, wirkt die Inszenierung bisweilen unfreiwillig komisch, wo sie doch dramatisch sein will. Ein großes Ziel hat unser Zweigesichthase jedoch erreicht: Wer mitreden oder abrotzen will, muss eine Kinokarte kaufen. Hoffentlich beschwören wir dadurch keine Fortsetzung herauf.

Macht anderthalb von fünf kleinen Quentins fürs Ikea-Regal im Wohnzimmer.

Freitag, 28. September 2012

Herzensangelegenheiten

Wenn alte Freunde oder neue Bekannte von meiner Begeisterung für Jazz erfahren, müllen sie mich gerne mit Vorurteilen und Halbwissen zu. Die Palette reicht dabei von dem völlig unbelegten Vorwurf, hinter einem schwarzen Kaffee und in einem ebensolchen Rollkragenpullover in Straßencafés zu sitzen, über den unverschämten Hinweis auf meinen teils ergrauten Bart bis hin zur wüsten These, Jazz sei "sowas wie die Blues Brothers oder Jan Delay".

Ich neige nicht dazu, milde zu lächeln. Deshalb eröffne ich meist eine später lautstark geführte Debatte, aus der ich stets als moralischer und argumentativer Sieger hervorgehe. Jazz ist eben was für Intellektuelle.

Mit der mir eigenen Bescheidenheit glaube ich gar, beurteilen zu können, dass es den Jazz gar nicht gibt. Was im Plattenladen für gewöhnlich in der zweitkleinsten Abteilung zu finden ist, ist vielfältig und kaum zu definieren. Sicher lässt sich eine Brücke von Miles Davis zu Galliano schlagen, aber sie ist ein wenig wackelig und führt in nebliger Höhe über belebte Straßen und verzweigte Irrwege. Abgekürzt: "Mein" Jazz - das ist Coltrane und Mahavishnu Orchestra, Ginger Baker und John Scofield. Aber vor allem und als erstes und immer wieder: Jonas Hellborg. Der ist Schwede, spielt Bass und sieht auf dem Cover seines Albums "Axis" sehr eigenartig aus. Unter anderem deshalb hängt es an der Wand meines Büros.

Der andere Grund ist: Die Platte ist gut. Sie eignet sich für Jazz-Novizen, zum Einstieg, zum behutsamen Hinübergleiten in die fremde Welt, die selten was zu tun hat mit Pop und Kommerz (und fast nie was mit schwarzen Rollkragenpullovern). Dafür mit Funk und Soul und Improvisation ohne Übertreibung. Alt-Jazzer (sprich: Jatzer) mögen sie trotzdem - ich hab's selbst erlebt.

Der zweite, sicher gleichfalls zögernde Schritt erfolgt auf Hellborgs Beste: "The Silent Life". Ein akustisches Meisterwerk (und ich benutze dieses Wort etwa so leichtfertig wie "Freund" oder "Hass", also überhaupt nicht leichtfertig) ist das, reduziert, ganz nah dran und atmosphärisch mit der Betonung auf den ersten beiden Silben. Groß.

Allein diesem Adjektiv merkt man meine Begeisterung an, die Begeisterung eines passionierten Rock-Hörers, der nicht nur Rock hört. Grauer Bart hin, schwarzer Kaffee her - ich mag Jazz ohne Klischees. Und quatscht in diesem Zusammenhang bitte nie wieder was von Jan Delay.

Jonas Hellborgs offizielle Webseite

Mittwoch, 26. September 2012

Herzensangelegenheiten

"Fool" sprach mir immer aus der Seele. Wer hat sich nicht schon wie ein Narr gefühlt? Henry Rollins auf jeden Fall, dabei ist er doch eigentlich ein Held, denn er gibt es zu.

Dieser brüllende, volltätowierte Wutklotz, in der weniger muskelbepackten Jungspundvariante am Mikro bei Black Flag zu finden, ist längst ein etablierter Künstler. Und pfeift drauf, dass das möglicherweise nicht jedem gefällt. Überhaupt: Dem nun auch schon 51-Jährigen fehlt vermutlich die Zeit, sich Gedanken darüber zu machen, was andere von ihm halten. Er ist das Arbeitstier, als das er sich präsentiert: Schreiben, singen, erzählen, pumpen, schauspielern, schreiben...

Ab und an lege er mal eine Jazz-Platte auf, gab er einst zu Protokoll. (Eine Vorliebe, die man der Musik der Rollins Band übrigens durchaus anhört.) Viel mehr an Privatleben oder gar Freizeit gönne er sich nicht. Ich vermute: Auch zu John Coltranes "Up 'gainst The Wall" lassen sich Gewichte stemmen. Und probiere es demnächst mal aus.

Rollins' größte Leistung ist sicher nicht die fein nuancierte Darstellung eines Survivaltrainers in "Wrong Turn 2: Dead End". Vermutlich sind es nicht mal die Black-Flag-Klassiker oder seine Solo-Alben "The End Of Silence" und "Weight", obwohl das alles selbstverständlich in jede gut sortierte Tonträgersammlung gehört. Am meisten beeindruckt hat mich "Eisenheinrich" (wie ihn das gewohnt stilsichere Visions gern mal nannte) in der Sendung "Durch die Nacht mit Shirin Neshat und Henry Rollins". Da zeigte sich der massige Musiker im nächtlichen New York an der Seite der iranischen Künstlerin von seiner eloquenten, ausgesucht höflichen und erstaunlich verletzlichen Seite.

Ein Narr, wer davon überrascht war.

Donnerstag, 20. September 2012

Lieber gut geklaut...

The room was dark, it looked like someone had to get out fast. A window open by the fire escape. "How long have you been following this guy?", the bell boy asked. "Not long enough, 'cause we got here too late."

She said: "I'm here on a shore leave." Though we were miles at sea. I pointed out this detail and forced her to agree, saying: "You must be the mermaid, who took King Neptune for a ride." And she smiled at me so sweetly, that my anger straightway died.

"Hello, darkness, my old friend, I've come to talk with you again." I check my look in the mirror. Wanna change my clothes, my hair, my face. "Man, I ain't getting nowhere. I'm just livin' in a dump like this. There's something happening somewhere. Baby, I just know there is. I can't help about the shape I'm in. I can't sing, I ain't pretty and my legs are thin. But don't ask me what I think of you. I might not give the answer that you want me to."

I've seen a rich man beg. I've seen a good man sin. I've seen a tough man cry. I've seen a loser win and a sad man grin. I heard an honest man lie. What good are these thoughts that I'm thinking? It must be better not to be thinking at all.

"There must be some way out of here", said the joker to the thief. "There's too much confusion, I can't get no relief. I've been waiting for something to happen for a week or a month or a year. With the blood in the ink of the headlines and the sound of the crowd in my ear." "But nobody never gonna tell you the way. You gotta figure it out, boys, and suffer the rain and the fools in the night and the heat of the day. When all you ever really wanted was someone to understand."

"So, so you think you can tell Heaven from Hell, blue skies from pain? Don't you think I know there's so many others, who would beg, steal, lie, fight, kill and die?" "I sneak around the corner with a blueprint of my lover. With a blueprint of my life I would better run for cover. Can we pretend that airplanes in the night sky are like shooting stars?"

"You miss the beat, you lose the rhythm. And nothing falls into place. You've been through the fires of hell. And I know you've got the ashes to prove it. You better lose yourself in the music, the moment, you own it, you better never let it go. You only get one shot, do not miss your chance to blow. This opportunity comes once in a lifetime." And as I watched him on the stage my hands were clenched in fists of rage.

In the howlin' wind comes a stingin' rain. See it drivin' nails into the souls on the tree of pain. From the firefly a red orange glow. See the face of fear running scared in the valley below.

Dienstag, 18. September 2012

Herzensangelegenheiten

Ich warte ja immer noch darauf, dass mich jemand beiseite nimmt und mir das alles erklärt. Zum Beispiel, weshalb auf einmal alle auf diese Band The xx abfahren. (Für Uneingeweihte: Das ist kein Redigierfehler in Form eines nicht nachrecherchierten Bandnamens, an dessen Stelle ein Platzhalter seiner Berufung nachkommt - die heißen wirklich so.)

Mir ist schon bewusst, dass es schlimmere Musik gibt. Aber die ist ein weiches Ziel. Oder wie Klaus Walter mir einst ins Diktiergerät raunte (auf die Frage, welche Musik er nicht möge): "Ich könnte jetzt Phil Collins oder irgendwelche Popsachen nennen, aber das wäre zu einfach." Also: The xx sind nicht Justin Bieber, darauf können wir uns sicher einigen. Ich verstehe trotzdem nicht, was an dieser Combo so großartig sein soll. Oder warum sie mitunter gar mit Joy Division verglichen wird.

Seit sie Titelthema diverser Fachzeitschriften ist und mir von allen Seiten erzählt wird, dies sei die beste neue Band seit langem, habe ich angestrengt versucht, sie gut zu finden. Ich habe mir wieder und wieder die vermeintlichen Hits angehört, die bei mir einfach nichts treffen - nicht Herz, nicht Hirn. Ich habe Interviews mit den Bandmitgliedern gelesen und zwar auf Anhieb nichts gefunden, was mir unsympathisch erschien (zumindest nicht in den Antworten), aber eben auch nichts, was mich aufhorchen ließ oder gar davon abgehalten hätte, ernsthaft über ein Nickerchen nachzudenken. Und ich schlafe praktisch nie.

Das scheint mir tatsächlich das Problem zu sein, das ich mit diesen schwarzgekleideten Londonern (gegen beides ist übrigens nichts einzuwenden) habe: Ihre Musik ist stinklangweilig. Oder anders: Möglicherweise bin ich tatsächlich zu dämlich, um das ausgeklügelte Konzept zu verstehen, die raffinierten Melodien und sorgfältigen Arrangements zu erkennen, die einsame Klasse dieses Trios/ehemaligen Quartetts zu würdigen.

Ich befürchte nur - und das lässt sich ja nachprüfen -, dass in spätestens zwei Jahren kein Hahn mehr nach The xx kräht. Dass sie den Weg alles Unwichtigen (also unter anderem der Strokes und all der britischen Hypes der 90er) gehen. Dass schon bald eine andere nichtssagende Formation traurig vom Magazincover blickt. Vielleicht nimmt mich ja dann mal jemand zur Seite und erklärt mir das alles.

Freitag, 14. September 2012

Tagein, tagaus

New Order: Blue Monday Irgendwie habe ich New Order immer übel genommen, dass sie nicht Joy Division sind. Zu sehr unterscheidet sich ihr tanzbarer Pop von der drängenden Düsternis im Kopf des völlig zu Unrecht schon lange toten Ian Curtis. Man muss schon sehr genau hinhören, um die Gemeinsamkeiten zu entdecken. Und man muss fair sein. Wer will das schon? Eine der Gemeinsamkeiten ist der Bass von Peter Hook. Der ist vor fünf Jahren ausgestiegen. Also ganz unfair: Ihr Bizarre-Auftritt 1993 war grausam langweilig. Die Woche fängt ja gut an. Ach ja: Ich liebe Blue Monday. Und sämtliche anderen New-Order-Hits.

Lynyrd Skynyrd: Tuesday's Gone Im Ox schrieb mal einer über seine Vorliebe für Southern Rock. Im Ox. Nicht in der Spex. Das macht es mir leichter, zuzugeben, dass ich diese Vorliebe teile. Ich mag es, wenn zwei bis drei Gitarren von Freiheit singen. Das übertönt so schön den stumpfen Patriotismus dahinter. Auf der Autobahn kann ich textsicher all die Klassiker mitgröhlen, die von stumpfer Freiheit und patriotischen Gitarren handeln. Deshalb mache ich das auch. Ist der Dienstag gegangen, gebe ich gerne zu: Das ist nicht ihre beste Nummer.

Lisa Loeb: Waiting For Wednesday Ich habe Lisa Loeb leider niemals live gesehen. Dabei habe ich nach "Tails" und dem zugehörigen Artikel im Musikexpress kurzzeitig überlegt, ihr einen Heiratsantrag zu mailen. Sie macht Musik, die in einer gerechten Welt in Buchläden laufen würde. Ich mag Buchläden, und ich mag Musik. Schade, dass die von Frau Loeb nach ihrem Debütalbum immer ein bisschen egal war. Das allerdings gehört in jeden guten Haushalt.

Morphine: Thursday Mark Sandman war ein Genie. Diese Behauptung kann ich anhand zweier Fakten belegen: Erstens gab und gibt es keine zweite Band außer Morphine, die so perfekt auf der Linie zwischen Minimalismus und Barjazz balanciert. Und zweitens hat es nach ihrem Sänger und Bassisten niemand mehr geschafft, sich Tom Waits anzunähern, was die Beschreibung schräger Film-noir-Dramen angeht. Im regennassen Asphalt der Hinterhöfe spiegelt sich der Vollmond. Und dazu zieht einer die vier Saiten, quält ein anderer sein Saxophon, klopft ein dritter auf seine Drums. Gänsehautmusik.

The Cure: Friday I'm In Love Schön für Robert Smith. Vermutlich meint er die Liebe zum chartstauglichen Pop. Schwarze Explosionsfrisur vor pinkfarbenem Hintergrund. Soll fröhlich klingen. Tut es auch. Manchmal: leider.

Dead Kennedys: Saturday Night Holocaust Ist eigentlich kein Punk und genau deshalb eben doch. Man hört förmlich den Schweiß auf Jello Biafras Mikro spritzen, sieht vor dem geistigen Auge, wie sich seine Mitstreiter einen verdrehten Wust aus allem abringen, was den Klischees "ihrer" (?) Musik entgegensteht. Kantig und kratzbürstig, eloquent und einzigartig, virtuos und verwegen. Die Dead Kennedys halt.

U2: Sunday Bloody Sunday "This song is not a rebel song!" Sollen ruhig alle mit leicht verächtlichem Grinsen auf die frühen Jahre blicken, soll Bono meinetwegen seine Stubenfliegen-Sonnenbrille auf den Benefizempfängen dieser Welt spazieren tragen - das hier sind U2, wie ich sie kennen und lieben gelernt habe. Was vielen heute als Pathos gilt, nenne ich Hingabe. Und irgendjemand musste doch die Welt retten. Seinerzeit haben das eben gerne mal die Iren übernommen (siehe Live Aid). Nichts gegen "The Fly", nicht mal was gegen "One". Doch gegen die heißblütigen, unschuldigen, aufregenden Hymnen der Anfangszeit wirken diese wohljustierten Zeitgeist-Zugeständnisse einfach zu glattgebügelt. Aber das soll ja wohl so sein.

Mittwoch, 12. September 2012

Herzensangelegenheiten

Manchmal frage ich mich, was die beiden heute wohl machen. Selbstvergessen standen sie am Piccadilly Circus und spielten eine Art rudimentären Blues, für den später Jon Spencer und noch später die White Stripes berühmt werden sollten.

Der Gitarrist bearbeitete eine abgeschrammelte E-Klampfe voller Bandsticker, hielt sie dabei im Arm wie seine Freundin, um sie im nächsten Moment fast auf den Boden fallen zu lassen. Mit ekstatischen Schrittfolgen stakste er vor der stetig wachsenden Gruppe von Zuhörern auf und ab, die aus erschöpften Touristen und neugierigen Londonern bestand. Unter ihnen waren zwei kurze Hessen, seit Tagen fast pleite, völlig übernächtigt und verschwitzt.

Unser "Youth Hostel" hatte sich als verschimmelte Absteige entpuppt, die bei hochsommerlichen Temperaturen nur kochend heißes Wasser bot, womit sich zumindest die Kakerlaken und Spinnen im Bad vertreiben ließen. Unser Geld hatten wir bereits an den ersten Tagen für T-Shirts und Platten ausgegeben. Also trieben wir uns tagsüber in der Stadt herum und saßen nachts in Pubs oder Live-Clubs, die ähnlich heimelig waren wie unsere Unterkunft. Oder am Piccadilly Circus.

Während der Mann an der Gitarre also seine so virtuosen wie zerschredderten Licks aus dem Instrument zerrte, kämpfte der Trommler gegen ein Minimalset, das schon bessere Tage gesehen hatte. Hi-Hat, Bassdrum und Snare - mehr brauchte es für ihn nicht, um erstaunlich abwechslungsreiche Rhythmen zu basteln. Zwei hagere, bärtige Gestalten zauberten im Schein der bunten Werbelichter ein breites Grinsen auf die Gesichter ihrer Zuhörer. Klar: Später ließen sie den obligatorischen Schlapphut rumgehen, der sich mit Klimpergeld füllte. Doch zuvor spielte das Duo nur für sich, fast wie in Trance. Es ging nicht darum, entdeckt zu werden, Fans zu gewinnen, nicht mal darum, möglichst viel Geld zu verdienen. Es ging um Musik.

Ab und zu, wenn ich Straßenmusikern zuhöre oder - seltener - was Bluesiges auflege, denke ich noch an jene Nacht in London. Ist 'ne Weile her, die beiden kurzen Hessen sind groß geworden, machen Fotos und schreiben Texte. Und die beiden Musiker sitzen heute bestimmt in einem langweiligen Büro und haben langweilige Bürojobs. Irgendwie tröstlich.