Dienstag, 10. Juli 2012

Herzensangelegenheiten

1992. Ganz schön was los hier. In Lichtenhagen wird die Demokratie beerdigt. Im Wembley-Stadion glücklicherweise nur der Classic Rock. Alles geht: Seit die Industrie den Jungen im karierten Hemd entdeckt hat, sucht sie nach einer Schublade. "Alternative" steht schließlich drauf, und drin ist, was gefällt. (Also: sich verkaufen lässt.)

Ein letztes Mal bäumt sich die Kreativität auf, flirten Gitarren mit Elektrorhythmen und Sprechgesang, wird deutsch gerappt und traurig gesungen, fallen drei Jahre nach der Revolution im Osten auch kulturelle Mauern. Das macht Spaß. Und wir denken uns nichts dabei.

Alte Helden kommen zu neuen Ehren, aus Träumern werden Stars. Im Plattenladen harren monatlich neue Schätze ihrer Entdeckung. (Es gibt Plattenläden.) Im Zeitschriftenladen buhlen bunte Gazetten um die Gunst der juvenilen Freigeister. (Es gibt Freigeister.) In kurzen Hosen und Wollmütze über die Bühne toben, im Bandshirt davor stehen oder raufklettern. Eddie Vedder schwimmt auf der Menge, Kurt Cobain hat Magenschmerzen, Anthony Kiedis trifft Supermodels, Zack de la Rocha den Nerv, Evan Dando hängt an der Wand im Mädchenzimmer, Phil Anselmo an der Hühnerbrust der Jungs.

Irgendwo in der Wüste hört jemand alte Sabbath-Platten und raucht Selbstgedrehtes, irgendwo in New York tanzt jemand um eine brennende Mülltonne. Irgendwo in Hessen sitzt einer und hört und sieht und staunt.

Unfassbare zwanzig Jahre ist das her, hat das letzte der genannten Musikmagazine neulich errechnet. Kurt, LayneDimebag und Adam sind tot. Karohemden und Kopfsocken sind allenfalls retro, Plattenläden selten, und was als alternativ galt, ist längst klassisch.

Manchmal kommen sie wieder, die Heroen der Vergangenheit, aber meist ist nur noch der Sänger dabei, und es klingt traurig, was trotzig sein will. Und wir denken uns nichts dabei.

Nix Neues an der Front, nicht in New York, nicht in der Wüste. Auf keinen Fall in Hessen. Nicht mehr viel los hier. 2012.