Sonntag, 12. Februar 2012

Herzensangelegenheiten

Die Welt trauert um Whitney Houston. Sowas schreibt man, wenn ein Promi das Zeitliche gesegnet hat. Ich bin ziemlich sicher, dass die Welt andere Sorgen hat oder zumindest haben sollte als einen weiteren toten Popstar. Trotzdem fällt mir auf, dass der Tod von Frau Houston mich etwas mehr betroffen gemacht hat als der von Frau Winehouse. Und ich frage mich, woran das wohl liegt. Auf jeden Fall mache ich ausnahmsweise mal mit: Hier ist sie, meine persönliche Whitney-Houston-Geschichte.

Zunächst mal habe ich jedoch die Pflicht, ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass "das ja nicht meine Musik ist". Ganz wichtig. Fast noch wichtiger als die Standardeinleitung, wenn wir Hetero-Männer nach unserer Meinung zum Aussehen eines anderen Mannes gefragt werden. Dann sagen wir nämlich als erstes: "Ich kann das ja nicht so beurteilen." Also: Stromgitarre ist lieb, Pop ist blöd. Soweit meine offizielle Meinungsäußerung, nach Rücksprache mit meinem Anwalt und Vertretern der Gewerkschaft. Daher habe ich natürlich stets desinteressiert bis verächtlich auf jene Geschmacksverirrten geblickt, denen solche Dogmen offenbar egal oder - schlimmer noch - gar nicht bewusst sind.

Die Bezeichnung "Superstar" traf auf Whitney Houston bis etwa 1992 zu wie auf keinen jener Menschen, die diesen Ehrentitel heute tragen. Das spricht unter anderem für einen gewissen kommerziellen Erfolg und eine damit einhergehende Medienpräsenz. Oder anders: Ich kenne vermutlich jeden von Whitney Houstons Hits und könnte in geeigneter Stimmung die Refrains relativ textsicher mitsingen.

Mitte der 80er wurde Whitney groß, ich war damals noch klein und starrte vergleichsweise beeindruckt auf ein Plattencover, das ein junger Mann unterm Arm hielt, der im gleichen Bus stand wie ich. Und wir reden hier über Vinyl, über große, schwarze Scheiben - das nur, falls sich jemand fragt, wie eine CD oder ein Download wohl als Gepäck für die Busfahrt in der Achselhöhle drapiert werden. Eine junge Frau in einem Badeanzug war darauf zu sehen, sehr hübsch, viel zu stark geschminkt und mit nassem Haar. Heute weiß ich, dass Frau Houston zehn Jahre älter war als ich - seinerzeit dürfte sie also 22 gewesen sein. Ich fragte mich, welche Art Musik von freundlich lächelnden Badenixen gemacht wird.

Der junge Mann, hinter dessen Ellbogen die Frau mit den nassen Haaren hervorlächelte, trug eine schwarze Lederjacke und jede Menge Gel im Haar. Mit war bewusst, dass er nichts gemein hatte mit den beiden Kerlen, die sich die Augen geschminkt und auf ihre Jeanswesten ungezählte Bilder von Teufeln und Skeletten genäht hatten und die ganz hinten im Bus saßen. Er sah auch nicht aus wie die sehr aufgetakelten und mit schief sitzenden Mützen versehenen Mädels, die vorne beim Fahrer saßen. Diese hörten - so viel hatte ich aus der Bravo gelernt - Spandau Ballet oder Duran Duran. Ich hörte gern die Musik der 70er, weil meine sehr viel älteren Brüder das taten, und beides war in den 80ern und in meiner Kleinstadt unfassbar uncool. Ich mochte auch Depeche Mode, die ich gerade entdeckt hatte. Die hatten zwar so gar nichts zu tun mit "Smoke On The Water", aber auf dem Ghettoblaster oder per Walkman, wenn ich mit meinen Kumpels unterwegs war, spielte das keine Rolle.

Ich merkte mir den Namen Whitney Houston, wie ich mir einige Monate zuvor "Michael Jackson" gemerkt hatte (den ich allerdings deutsch aussprach, also wie Michael Schanze). Als ich das nächste Mal im Plattenladen stand, hörte ich mir jedenfalls zwei Alben an, einfach aus Neugier. Macht das heute noch jemand? Um es kurz zu machen: Ich mochte "Beat It" lieber.

Einige Jahre später, eine andere Kleinstadt, unser Held war etwas älter und vor allem in Sachen Musik deutlich besser informiert. Frau Houston hatte ihren größten Hit, in den Charts und im Kino, nämlich den Soundtrack zu ihrem Film "Bodyguard": "I Will Always Love You". In den nächsten Wochen werden wir dieses Lied hören müssen, bis wir kotzen. Aber ich habe es damals gesagt, und ich sage es heute noch: Damit hat sich Whitney Houston unsterblich gemacht. Mir - und inzwischen kenne ich mich mit Musik durchaus ein bisschen aus - ist keine andere Sängerin bekannt, die stimmlich zu derartigen Höchstleistungen in der Lage war oder ist. Rein technisch, aber auch emotional.

Ihr lest hier nichts über Bobby Brown, über Drogen oder misslungene Comeback-Versuche. Das war einfach nur meine persönliche Whitney-Houston-Geschichte. Aber eigentlich ist das ja nicht meine Musik.