Freitag, 11. Dezember 2009

Herzensangelegenheiten

Irgendwann habe ich die Antenne einfach abgeknickt. Ich höre nie Radio, auch nicht beim Autofahren. Musik darf keine akustische Tapete sein. Dabei übt die Idee, andere - gar landesweit - am eigenen Musikgeschmack teilhaben zu lassen, durchaus eine starke Faszination aus.

Jedoch hat Radio in Deutschland rein gar nichts zu tun mit John Peel oder den Jungs aus dem sehr guten Film "The Boat That Rocked". In der guten, alten Zeit war das anders, gerät der alternde Plattensammler ins Schwärmen. Klaus Walter erwies sich nicht nur übern Äther als gestrenger Kritiker der Beliebigkeit, sondern war auch im Interview ein streitbarer Gesprächspartner mit Ecken und Kanten. Also grundsympathisch. Und bevor Volker Rebell in die altersmilde Ethnopop-Verliebtheit wegdümpelte, machte er seinem Nachnamen alle Ehre. (Wie oft er das wohl schon gehört hat?)

Der große Formatradio-Gott aber strafte derlei Außenseitertum trotz stabiler Fanbasis mit gnadenloser Abschiebung, seit langem ein gern verwendetes Mittel, um die Republik frei zu halten von allem, was anders ist. In die Nische, aus dem Sinn, raus aus meinem Leben und damit auch aus diesem Blog.

Einst saßen wir am Jahresende mit langen Listen vor der Stereoanlage und lauerten darauf, begehrte Hits und Klassiker ohne Gequatsche aufs Band bannen zu können. "Hit-Container" hieß das. Später fehlte uns gerade das Gequatsche, und die Songs hatten wir auf CD und/oder Festplatte. Heute gibt es Blogs und Podcasts, aber es ist nicht das Gleiche. Das alles gilt übrigens sicher nicht nur für die meiner hessischen Herkunft geschuldete Auswahl, von der hier die Rede ist.

Was bleibt, ist jene quälende Kombination von genormter Musikauswahl aus dem Großrechner und unerträglich langweiligem Geplauder dazwischen. Die Radiotage sind vorüber. Die Antenne ist abgebrochen.

Volker Rebell über Lou Reed

Freitag, 10. April 2009

Herzensangelegenheiten

Meine Stimme ist verschwunden. Das ist ziemlich schade, denn eigentlich mochte ich sie ganz gerne. Daher habe ich sie sehr häufig benutzt, privat und beruflich.

Ich habe damit meinen Standpunkt vertreten, meist recht leise, seltener laut, aber immer deutlich. Ich habe damit geflüstert und geschrien, Lob und Kritik verteilt, flammende Reden gehalten und lustige Gedichte rezitiert, kleine Lebensweisheiten verkündet und große Gefühle gestanden.

Und nun ist sie fort. Das Verschwinden meiner Stimme kündigte sich bereits vor einiger Zeit an, als sie ihren gewohnten Klang veränderte. Plötzlich hörte sie sich ein wenig so an wie die von Tom Waits. Anders als der Mann mit dem schiefen Hut habe ich meine Stimme allerdings niemals zum Singen benutzt - oder allenfalls unter Androhung massiver körperlicher Gewalt beziehungsweise einer noch schlechteren Note im Schulfach Musik.

Wer mich zum Gesang nötigte, bereute seine Entscheidung meist nach wenigen Sekunden. Mit meiner Stimme lassen sich aller Textsicherheit zum Trotz ganze Konzerthallen leeren. Das weiß ich, ohne es jemals ausprobiert zu haben. Mein Autoradio und meine Dusche könnten ein Lied davon singen, wenn sie singen könnten. Aber natürlich können sie nicht einmal sprechen. Genau wie ich.

Allerdings gebe ich die Hoffnung nicht auf, dass meine Stimme bald wieder da ist. Obwohl ich sie seit meinem 18. Lebensjahr mehrmals jemandem gegeben habe, ist sie nämlich immer zurückgekehrt. Übrigens ohne Konsequenzen für mein Leben, welcher Art auch immer.

Wenn ich meine Stimme wiederhabe, werde ich mir überlegen, ob ich sie in Zukunft weniger schone. Ich könnte endlich mit dem Aktivrauchen anfangen oder mit dem Konsum von Spirituosen oder damit, mir morgens Rasierklingen unter die Cornflakes zu mischen. Dann steht einer Gesangskarriere nichts mehr im Wege, was in Zeiten des wirtschaftlichen Abschwungs als zweites Standbein durchaus sinnvoll sein kann. (Meine Unwörter des Jahres: "Abschwung" und "Standbein".)

Einzige Bedingung: Meine Stimme kommt nicht allein, sondern bringt ein wenig Genie mit. Das braucht es nämlich auch, wie das Beispiel Tom Waits beweist. Dies ist jedoch eher unwahrscheinlich, daher bleibt's wohl beim Sprechen.

Aber schweigen - das sei hiermit zumindest schriftlich verkündet - werde ich so schnell nicht.

Donnerstag, 8. Januar 2009

Herzensangelegenheiten

Ich wollte immer Klavierspielen können. Die Gründe für diesen unerfüllten Wunsch sind vermutlich vielfältig. Meine erste Erinnerung an den "Mann am Klavier" hat mit dem kleinen, alten Mann zu tun, der das gleichnamige Lied zu seiner Hymne machte. Wenn Paulchen Kuhn spirituosengestärkt und (damals schon) zerknautscht fragte, wer ihm denn wohl noch ein Bier gebe, dann wurde aus dem Akteur im Hintergrund, dessen eigentliche Aufgabe es war, dem (damals schon) noch spirituosengestärkteren Spree-Sinatra Juhnke den Rücken freizuhalten, der Star.

Pianisten sind lässig, aber von zurückhaltender Eleganz. Kein Wunder: Noch entspannter lässt sich Musik nicht spielen. Selbst sitzende Gitarristen wie Tony Joe White können da nicht mithalten. Wer locker auf dem Hocker sitzt, die flinken Finger über die Tasten gleiten lässt, hat es nicht nötig, um Aufmerksamkeit zu buhlen. Das Beste am Klavierspielen aber ist der Umstand, dass man wie nirgendwo sonst seine persönlichen Vorlieben mit Hilfe von Zitaten einfließen lassen kann. Krimiautor James Patterson lässt seinen Ermittler Dr. Alex Cross für dessen Kinder ein Medley spielen, in dem unter anderem Public Enemy auftauchen. Und war es nicht Noel Gallagher, der vor einiger Zeit grunzte, zu den uncoolsten Mitgliedern einer Band gehöre neben dem Drummer und dem Sänger eben auch der Mann an den Tasten? Mehr Lob geht eindeutig nicht.

Wenn Olli, ein in kultureller und soziologischer Hinsicht weit entfernter Mitschüler, seinerzeit am zerschrammten Klavier im Musikraum saß, kam er zwar über den Flohwalzer selten hinaus. Aber es gelang ihm, mit einem schwer erträglichen Mix aus Richard-Clayderman- und Udo-Jürgens-Klassikern selbst hartgesottene Mädels dazu zu bewegen, ihn fasziniert (besser: hypnotisiert) anzustarren. Uns Nachwuchsrockern blieb nur der Neid.

Aha, noch ein Grund für meinen bislang geheimen Wunsch. Warum er unerfüllt blieb? Zum einen ist ein Klavier so ziemlich das unpraktischste Instrument überhaupt. Außer Elton John und Konsorten schafft es wohl kein Pianist, sein Handwerksgerät stets mit sich zu führen. Zum anderen: Elton John, genau. In der bunten Welt der Populärmusik entdeckt man als Unerfahrener zunächst mal gelangweilte Crooner wie ihn oder Billy Joel. Dann stellt man möglicherweise fest, dass es Kollegen gibt, die zumindest mit einem charakteristischen Spiel punkten können (Stevie Wonder, Bruce Hornsby). Der nächste Schritt führt hoffentlich zurück zu den Urvätern (Ray Charles, Fats Domino, Jerry Lee Lewis, Little Richard). Wer sich mit den Texten beschäftigt (bei Klaviermusik im Rock nicht unwichtig), stößt vielleicht über Marc Cohn oder Joshua Kadison auf Genies wie Joe Jackson oder den unerreichten Randy Newman. Noch ein Schlenker zum Jazz (Brubeck, Hancock, Jarrett) und in Richtung engagierter Liedermacherinnen (Carole King, Tori Amos), und schon sind wir beim einzig relevanten "alternativen" Pianisten. Ben Folds heißt er, und wer ihn noch nicht oder nur als Geheimtipp kennt, hört jetzt bitte sofort auf, dieses Blog zu lesen, und rennt in den nächsten Plattenladen.

Allerdings - das muss zwingend ergänzt werden - gibt es nichts, was weniger smart wäre, als seine Kindheit mit Klavierunterricht zu verbringen. Das wollte ich wirklich nie.